Seite 449 - Das Leben Jesu (1973)

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Kapitel 50: In der Schlinge
Auf der Grundlage von
Johannes 7,16-36.40-53
;
Johannes 8,1-11
.
Während der ganzen Zeit, die Christus in Jerusalem auf dem Fest
verbrachte, wurde er beobachtet und umlauert; jeden Tag entstanden
neue Pläne, um ihn zum Schweigen zu bringen. Die Priester und
Obersten versuchten mit aller List, ihn in eine Falle zu locken, sich
seiner zu bemächtigen und ihn vor dem ganzen Volk zu demütigen.
Schon bei Jesu erstem Erscheinen auf dem Fest hatten ihn die
Pharisäer umringt und ihn gefragt, in wessen Vollmacht er lehre.
Man versuchte dadurch die Aufmerksamkeit von seinen Worten
abzulenken und die Berechtigung seiner Sendung in Frage zu stel-
len. Damit wollten sie zugleich ihre eigene Wichtigkeit und Macht
unterstreichen.
„Meine Lehre ist nicht mein“, sagte Jesus, „sondern des, der
mich gesandt hat. Wenn jemand will des Willen tun, der wird in-
newerden, ob diese Lehre von Gott sei, oder ob ich von mir selbst
rede.“
Johannes 7,16.17
. Die Frage dieser Kritiker widerlegte Jesus
nicht dadurch, daß er auf ihre Spitzfindigkeit einging, sondern indem
er ihnen das Verständnis für die Wahrheit öffnete, die für das Heil
der Seele lebenswichtig ist. Die Fähigkeit, die Wahrheit zu erkennen
und wertzuschätzen, so erklärte Jesus, hängt weniger vom Verstand
als vielmehr vom Herzen ab. Der Mensch muß die Wahrheit in sich
aufnehmen. Das erfordert die Unterordnung des Willens. Wenn die
Wahrheit nur dem Verstand unterworfen zu werden brauchte, würde
der Stolz kein Hindernis für ihre Annahme sein. Die Wahrheit kann
jedoch nur durch das Werk der Gnade in das Herz gelangen, und das
hängt davon ab, daß wir jeder Sünde absagen, die der Geist Gottes
offenbart. Der Vorteil, von der Wahrheit Kenntnis zu erhalten — wie
erhaben sie auch sein mag —, erweist sich für einen Menschen nur
dann als heilsam, wenn sein Herz bereit ist, sie aufzunehmen. Dazu
gehört aber, gewissenhaft auf alle Gewohnheiten und Verhaltenswei-
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sen zu verzichten, die den Grundsätzen der Wahrheit widerstreiten.
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