Seite 476 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
versucht haben, auf andere Weise in das Reich Gottes zu gelangen,
sind nach den Worten des Evangeliums „Diebe und Räuber“.
Die Pharisäer waren nicht durch diese Tür hineingegangen; sie
waren auf andere Art als Christus in die Hürde eingedrungen und
erfüllten nicht die Aufgabe eines guten Hirten. Die Priester und
Obersten, die Schriftgelehrten und Pharisäer verdarben die frischen,
gesunden Weiden und trübten die Quelle des Lebenswassers. Die
Heilige Schrift kennzeichnet genau das Handeln dieser falschen
Hirten: „Das Schwache stärkt ihr nicht, und das Kranke heilt ihr
nicht, das Verwundete verbindet ihr nicht, das Verirrte holt ihr nicht
zurück und das Verlorene sucht ihr nicht; das Starke aber tretet ihr
nieder mit Gewalt.“
Hesekiel 34,4
.
Zu allen Zeiten versuchten Philosophen und kluge Männer durch
Menschenweisheit die seelischen Bedürfnisse zu befriedigen. Die
heidnischen Völker hatten alle ihre großen Lehrer und Religionen,
die andere Wege zur Erlösung anboten als Christus, indem sie die
Menschen immer weiter von ihrem Schöpfer trennten und ihre Her-
zen mit Furcht vor dem erfüllten, der ihnen nur Gutes erwiesen hatte.
Ihr Bestreben ging dahin, Gott dessen zu berauben, was ihm nicht nur
durch die Schöpfung, sondern mehr noch durch die Erlösung gehört.
Solche falschen Lehrer schädigen die Menschen maßlos. Millionen
unglücklicher Menschen sind durch irrige religiöse Vorstellungen
gebunden und in sklavischer Furcht geknechtet; sie leben in dumpfer
Gleichgültigkeit dahin, schuften wie Lasttiere, bar aller Hoffnung,
Freude und Sehnsucht, nur mit einem Gefühl dumpfer Angst vor der
Zukunft im Herzen. Allein das Evangelium von der Gnade Gottes
kann die Seele erheben und adeln. Das Nachdenken über die Liebe
Gottes, die sich in seinem Sohn offenbart, erwärmt das Herz und
erweckt die Kräfte der Seele, wie sonst nichts auf der Welt. Christi
Aufgabe war es, das Ebenbild Gottes im Menschen wiederherzustel-
len. Wer jedoch Seelen von Christus abspenstig macht, verschließt
ihnen die Quelle echter Entfaltung und betrügt sie um die Hoffnung,
um das Ziel und die Herrlichkeit des Lebens. Er ist ein „Dieb und
Räuber“.
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„Der aber zur Tür hineingeht, der ist der Hirte der Schafe.“
Jo-
hannes 10,1.2
. Christus ist Tür und Hirte zugleich. Er tritt bei sich
selbst ein und wird durch sein eigenes Opfer der Hirte der Schafe.
„Dem tut der Türhüter auf, und die Schafe hören seine Stimme, und