Seite 490 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
ihnen zeigte, wie sie auf ihn und auf sein Versöhnungswerk zutreffen.
Von den geistlichen Wahrheiten, die von den Propheten verkündigt
worden waren, hatten sie ein klareres Verständnis als die Schreiber
selbst. Künftig lasen sie die Schriften des Alten Testamentes nicht
mehr als die Lehrsätze der Schriftgelehrten und Pharisäer, nicht als
die Aussagen kluger Männer, die bereits tot sind, sondern als eine
neue Offenbarung von Gott. Sie erkannten den, „welchen die Welt
nicht kann empfangen, denn sie sieht ihn nicht und kennt ihn nicht.
Ihr aber kennet ihn, denn er bleibt bei euch und wird in euch sein.“
Johannes 14,17
.
Der einzige Weg zu einer klareren Erkenntnis der Wahrheit ist
ein liebevolles Herz, erfüllt von dem Geist Christi. Die Seele muß
von Eitelkeit und Stolz gereinigt und von allem befreit werden, was
von ihr Besitz ergriffen hat; einzig Christus muß in ihr herrschen
und Gestalt gewinnen. Die menschliche Wissenschaft genügt nicht
annähernd, die Versöhnung mit Gott zu verstehen. Der göttliche Er-
lösungsplan ist so gewaltig, daß keine irdische Weisheit ihn erklären
kann; er wird stets ein Geheimnis bleiben, das die tiefschürfendsten
Überlegungen nicht zu ergründen vermögen. Die Erlösung kann
man nicht erklären, sondern nur erfahren. Nur wer die eigene Sünd-
haftigkeit erkennt, kann den Wert der Gabe Gottes ermessen.
Eine Fülle von Belehrungen erteilte Jesus, als er langsam von
Galiläa nach Jerusalem wanderte. Eifrig lauschte das Volk seinen
Worten. Sowohl in Peräa als auch in Galiläa lebten die Menschen
weniger unter der formellen, buchstabengläubigen jüdischen Fröm-
migkeit als in Judäa, und die Lehren des Heilandes fanden in ihren
Herzen willige Aufnahme.
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Christus sprach in diesen letzten Monaten seines Dienstes viel in
Gleichnissen. Die Priester und Rabbiner verfolgten ihn mit ständig
wachsendem Haß, und seine Warnungen an sie kleidete er in Sinn-
bilder. Sie konnten seine Andeutungen nicht mißverstehen; dennoch
fanden sie in seinen Worten keinen Anhalt, um ihn anzuklagen. Im
Gleichnis vom Pharisäer und dem Zöllner zeigte das selbstgerechte
Gebet: „Ich danke dir, Gott, daß ich nicht bin wie die andern Leute“,
den großen Unterschied zu der Bitte des Bußfertigen: „Gott, sei mir
Sünder gnädig!“
Lukas 18,11.13
. Auf diese Weise tadelte Jesus die
Heuchelei der Juden. Durch die Bilder vom unfruchtbaren Feigen-
baum und von dem großen Abendmahl sagte er das verhängnisvolle