Seite 494 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
seinen Zuhörern durch ein Gleichnis aus dem Leben das Wesen der
von Gott geborenen Liebe. Die Herzen der Juden wurden gerührt;
der Schriftgelehrte bekannte die Wahrheit, die ihm Jesus gezeigt
hatte.
Die einzige Möglichkeit, die Dunkelheit zu zerteilen, ist, das
Licht einzulassen; ebenso kann der Irrtum nur durch die Wahrheit
bezwungen werden. Durch die Offenbarung der Liebe Gottes zeigen
sich die Fehler und Sünden des Herzens, das sich selbst gern zum
Mittelpunkt des Lebens macht.
„Es war ein Mensch“, sprach Jesus, „der ging von Jerusalem
hinab nach Jericho und fiel unter die Räuber; die zogen ihn aus
und schlugen ihn und gingen davon und ließen ihn halbtot liegen.
Es begab sich aber von ungefähr, daß ein Priester dieselbe Straße
hinabzog; und da er ihn sah, ging er vorüber. Desgleichen auch
ein Levit; da er kam zu der Stätte und sah ihn, ging er vorüber.“
Lukas 10,30.32
. Dies war keine erfundene Geschichte, sondern ein
aktuelles Geschehen. Sie war bekannt, so wie sie erzählt wurde. Der
Priester und der Levit die vorübergingen, waren in der Gruppe die
Jesu Worten lauschte. (Siehe DA 499)
Die von Jerusalem nach Jericho reisten, mußten durch einen
Teil der Wüste von Judäa ziehen. Die Straße führte einen einsamen,
felsigen Hohlweg hinunter, wo Banditen ihr Unwesen trieben und
sich schon oft Gewalttaten abgespielt hatten. Hier geschah es nach
dem Gleichnis, daß man den Wanderer angriff und alles Wertvol-
len beraubte, ihn schlug und verletzte und schließlich halbtot am
Wegrand liegen ließ. Als dieser so dalag, kam ein Priester vorbei,
richtete aber kaum den Blick auf den Verletzten. Dann erschien ein
Levit, blieb neugierig stehen und sah sich den Überfallenen an. Er
wußte genau, was er hier zu tun hatte; aber das war keine angenehme
Pflicht. Er wünschte, nicht diesen Weg gegangen zu sein, dann hätte
er den Verwundeten nicht gesehen. Er meinte, daß ihn dieser Fall
nicht betraf, und ging weiter.
Beide Männer bekleideten ein geistliches Amt und behaupteten,
Ausleger der Schrift zu sein. Sie waren besonders erwählt, dem Volk
gegenüber als Stellvertreter Gottes aufzutreten. Sie sollten mitfühlen
„mit denen, die da unwissend sind und irren“ (
Hebräer 5,2
), damit
diese die unermeßlich große Liebe Gottes zur Menschheit erkennten.
Die Aufgabe, zu der sie berufen waren, war die gleiche, die der