Seite 518 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
In das friedevolle Heim, in dem Jesus ausgeruht hatte, war Trauer
eingezogen. Lazarus war plötzlich erkrankt, und seine Schwestern
ließen dem Heiland sagen: „Herr, siehe, den du lieb hast, der liegt
krank.“
Johannes 11,3
. Sie sahen wohl die Heftigkeit der Krankheit,
die ihren Bruder ergriffen hatte, doch sie wußten, daß Christus fähig
war, alle Arten von Krankheiten zu heilen. Sie glaubten, er würde in
ihrem Schmerz mit ihnen fühlen; deshalb erbaten sie nicht seine so-
fortige Anwesenheit, sondern sandten nur die Vertrauen bekundende
Botschaft: „Den du lieb hast, der liegt krank.“ Sie nahmen an, daß
er auf ihre Botschaft sofort antworten und, so schnell er Bethanien
erreichen könnte, bei ihnen sein würde.
Angstvoll warteten sie auf einen Bescheid von Jesus. Sie bete-
ten und warteten auf ihn, solange noch der Lebensfunke in ihrem
Bruder lebendig war. Der Bote kehrte ohne den Heiland zurück;
doch er brachte die Nachricht: „Diese Krankheit ist nicht zum To-
de“ (
Johannes 11,4
), und die Schwestern klammerten sich an die
hoffnungsvollen Worte, daß Lazarus leben werde. Zartfühlend ver-
suchten sie dem Leidenden, der fast ohne Bewußtsein lag, Mut und
Hoffnung zuzusprechen. Als Lazarus starb, waren sie bitter ent-
täuscht; doch sie fühlten die ihnen beistehende Gnade Christi, und
dies hielt sie davon ab, dem Heiland irgendwie die Schuld zu geben.
Als Jesus die Nachricht hörte, dachten die Jünger, ihn berühre
sie gar nicht; denn er äußerte keineswegs die Trauer, die sie von
ihm erwartet hatten. Er schaute sie nur an und sagte: „Diese Krank-
heit ist nicht zum Tode, sondern zur Verherrlichung Gottes, daß der
Sohn Gottes dadurch verherrlicht werde.“
Johannes 11,4
. Zwei Tage
blieb er noch am gleichen Ort. Dieser Aufschub war seinen Jüngern
unverständlich. Sie dachten daran, welcher Trost die Gegenwart
des Heilandes der betrübten Familie in Bethanien sein könnte. Sie
kannten seine große Zuneigung zu Lazarus und den Schwestern
Maria und Martha sehr gut, und sie waren überrascht, daß er auf die
traurige Nachricht — „Den du lieb hast, der liegt krank“ — nicht
antwortete.
Während dieser zwei Tage schien Christus die Nachricht ganz
vergessen zu haben; denn er erwähnte Lazarus überhaupt nicht.
Die Jünger mußten an Jesu Vorläufer, Johannes den Täufer, denken.
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Sie waren verwundert gewesen, warum Jesus, der die Macht besaß,
erstaunliche Wunder zu wirken, es zugelassen hatte, daß Johannes im