Seite 58 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
Auch als er vom Knaben zum Jüngling heranwuchs, kümmerte sich
Jesus nicht um die Rabbinerschulen. Er hatte Bildung aus solcher
Quelle nicht nötig; denn Gott war sein Lehrer.
Die während der Ausübung seines Lehramtes aufgeworfene Fra-
ge: „Wie kennt dieser die Schrift, obwohl er sie doch nicht gelernt
hat?“ (
Johannes 7,15
) deutet daher auch nicht an, daß Jesus etwa
nicht lesen konnte, sondern nur, daß er keine Ausbildung durch be-
rufene Rabbiner erhalten hatte. Da er sein Wissen in der gleichen
Weise erwerben mußte wie wir, beweist seine innige Vertrautheit mit
der Schrift, wie fleißig er sich in seinen Jugendjahren mit dem Wort
Gottes befaßt hat. Dazu lag das große Buch der Natur ausgebreitet
vor ihm. Er, der Schöpfer aller Dinge, vertiefte sich nun selbst in die
Lehren, die er mit eigener Hand in Erde, Meer und Himmel gezeich-
net hatte. Er hielt sich fern von allen unheiligen Dingen der Welt
und sammelte eine Fülle von wissenschaftlichen Erkenntnissen aus
der Natur. Zu diesem Zweck beobachtete er das Leben der Pflanzen,
der Tiere und der Menschen. Von frühester Kindheit an aber behielt
er das eine Ziel im Auge: andern zum Segen zu leben! Hierzu wur-
de er durch die ganze Schöpfung ermuntert; sie war ihm eine gute
und vielseitige Lehrmeisterin. Ständig trachtete er, dem Sichtbaren
Bilder zur Veranschaulichung des lebendigen Wortes Gottes abzu-
gewinnen. Die Gleichnisse, in die er während seines Wirkens seine
Belehrungen gern einkleidete, zeigen deutlich, in welch hohem Ma-
ße sein Gemüt für die Einflüsse der Natur empfänglich war und er
Unterweisungen hinsichtlich des geistlichen Lebens der Alltagswelt
entnommen hatte.
Während Jesus so die Bedeutung der Dinge zu erfassen suchte,
entfaltete sich ihm das Wesen des Wortes und der Werke Gottes. Von
Engeln des Himmels begleitet, hegte er heilige Gedanken und pflegte
heilige Zwiesprache. Vom ersten Aufdämmern seines Verständnisses
an nahm er ständig zu an geistlichen Tugenden und in der Erkenntnis
der Wahrheit.
Gleich Jesus kann jedes Kind Erkenntnis erlangen. Wenn wir
versuchen, durch Gottes Wort mit unserem himmlischen Vater be-
kannt zu werden, dann werden uns Engel nahe sein, und unser Geist
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wird gestärkt, unser Wesen geläutert und verfeinert werden. Damit
werden wir unserem Heiland ähnlicher. Angesichts all des Schönen
und Großartigen in der Natur wendet sich unser Herz Gott zu. In