Seite 57 - Das Leben Jesu (1973)

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Jesu Kindheit
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Kinder schon von klein auf über seine Güte und über seine Grö-
ße zu belehren, wie sie sich besonders in seinem Gesetz offenbart
und in der Geschichte Israels kundgetan haben. Sie sollten dabei
Gesang, Gebet und die Betrachtung der Schrift dem kindlichen Ver-
ständnis anpassen. Väter und Mütter mußten ihre Kinder darüber
unterrichten, daß das Gesetz Gottes ein Ausdruck seiner Gesinnung
sei und daß sich mit der Annahme seiner Grundsätze das Bild Got-
tes auf den Geist und auf die Seele übertrage. Ein Großteil dieser
Belehrung erfolgte mündlich; daneben aber lernte die Jugend auch
die hebräischen Schriften lesen, so daß sie sich mit dem Inhalt der
auf Pergament geschriebenen alttestamentlichen Zeugnisse vertraut
machen konnte.
Zur Zeit Christi wurde der Ort oder die Stadt, die nichts für
die religiöse Erziehung der Jugend tat, angesehen als stände sie
unter dem Fluch Gottes. Dennoch war der Unterricht immer mehr
verflacht, und die Überlieferungen hatten in weitem Ausmaß die
heiligen Schriften verdrängt. Rechte Erziehung muß die Jugend
veranlassen, daß sie den Herrn „suchen ... ob sie wohl ihn fühlen
und finden möchten“.
Apostelgeschichte 17,27
.
Die Lehrer der Juden wandten ihre Aufmerksamkeit äußeren
Dingen zu. Sie suchten den Verstand mit einem Stoff zu belasten,
der für die Schüler wertlos war und erst recht vor der höheren Schule
des Himmels nichts galt. So hatte die Erfahrung, die man durch
die Annahme des Wortes Gottes erlangt, keinen Raum in ihrem
Erziehungswesen. Vor lauter Äußerlichkeiten fanden die Schüler
keine Gelegenheit, in stillen Stunden mit Gott zu verkehren. Sie
vernahmen nicht, daß seine Stimme zu ihren Herzen redete. Auf
ihrer Suche nach Erkenntnis kehrten sie dem Quell der Weisheit den
Rücken. Das Wichtigste im Gottesdienst vernachlässigten sie, die
Forderungen des Gesetzes wurden entstellt. Man machte dadurch die
höhere Bildung zum größten Hindernis für eine rechte Entwicklung.
Die Erziehungsweise der Rabbiner hemmte die Kraft der Jugend.
Sie wurde schwerfällig und einseitig im Denken.
Der junge Jesus wurde nicht in den Schulen der Synagoge un-
terrichtet. Seine Mutter war seine erste Lehrerin. So erfuhr er aus
ihrem Munde und aus den Schriften der Propheten die himmlischen
Dinge. Die Worte, die er selber durch Mose zu Israel gesprochen
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hatte, mußte er nun zu den Füßen seiner Mutter hören und lernen.