Seite 580 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
fer vervielfacht, als ob Gott durch einen herzlosen Formendienst
geehrt werden könnte. Die Priester und Obersten hatten nicht nur
ihre Herzen durch Selbstsucht und Geiz verhärtet, sie hatten auch
jene Sinnbilder, die auf das Lamm Gottes hinwiesen, zu Hilfsmitteln
des Gelderwerbs erniedrigt. Auf diese Weise war in den Augen des
Volkes die Heiligkeit des Opferdienstes in hohem Grade herabge-
würdigt worden. Jesus empörte sich darüber; er wußte, daß sein Blut,
das für die Sünden der Welt bald vergossen werden sollte, von den
Obersten und Priestern ebensowenig geachtet würde wie das Blut
der Tiere, das sie unaufhörlich fließen ließen.
Gegen diese Ausübung des Opferdienstes hatte Christus be-
reits durch den Mund des Propheten gesprochen. Samuel hatte ge-
sagt: „Meinst du, daß der Herr Gefallen habe am Brandopfer und
Schlachtopfer gleichwie am Gehorsam gegen die Stimme des Herrn?
Siehe, Gehorsam ist besser als Opfer und Aufmerken besser als das
Fett von Widdern.“
1.Samuel 15,22
. Als Jesaja im Gesicht den Ab-
fall der Juden sah, redete er sie als Oberste von Sodom und Gomorra
an: „Höret des Herrn Wort, ihr Herren von Sodom! Nimm zu Ohren
die Weisung unsres Gottes, du Volk von Gomorra! Was soll mir die
Menge eurer Opfer? spricht der Herr. Ich bin satt der Brandopfer von
Widdern und des Fettes von Mastkälbern und habe kein Gefallen
am Blut der Stiere, der Lämmer und Böcke. Wenn ihr kommt, zu
erscheinen vor mir — wer fordert denn von euch, daß ihr meinen
Vorhof zertretet? ... Wascht euch, reinigt euch, tut eure bösen Taten
aus meinen Augen, laßt ab vom Bösen! Lernet Gutes tun, trachtet
nach Recht, helft den Unterdrückten, schaffet den Waisen Recht,
führet der Witwen Sache!“
Jesaja 1,10-12.16.17
.
Christus, der diese Weissagungen durch seinen Geist selbst ge-
geben hatte, wiederholte nun seine Warnungen zum letztenmal. In
Erfüllung des prophetischen Wortes hatte das Volk Jesus zum Kö-
nig Israels ausgerufen. Er hatte ihre Huldigungen und das Amt des
Königs angenommen. Als solcher mußte er handeln. Er wußte, daß
seine Bemühungen, die verderbte Priesterschaft zu bessern, vergeb-
lich sein würden; dennoch mußte er seine Aufgabe erfüllen, einem
ungläubigen Volk den unantastbaren Beweis seiner göttlichen Sen-
dung zu geben.
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Noch einmal überschaute sein durchdringender Blick den enthei-
ligten Tempelhof. Aller Augen waren auf ihn gerichtet. Priester und