Seite 595 - Das Leben Jesu (1973)

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Kampf
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Als die Pharisäer Christi Antwort hörten, „verwunderten sie sich
und ließen ihn und gingen davon“.
Matthäus 22,22
. Er hatte ihre
Heuchelei und Anmaßung getadelt und zugleich einen wichtigen
Grundsatz aufgestellt, der deutlich die Pflichten des Menschen ge-
genüber der bürgerlichen Regierung und gegenüber Gott umreißt.
Für viele war dadurch ein unangenehmes Problem gelöst worden.
Sie haben später an dem richtigen Grundsatz festgehalten. Obwohl
viele unzufrieden von Jesus fortgingen, sahen sie doch ein, daß der
Grundgedanke, der der Frage der Pharisäer zugrunde lag, deutlich
herausgestellt worden war, und sie bewunderten Christi weitblicken-
den Scharfsinn.
Kaum war den Pharisäern der Mund gestopft, als auch schon
die Sadduzäer mit ihren hinterlistigen Fragen an ihn herantraten.
Beide Parteien standen einander in bitterer Feindschaft gegenüber.
Die Pharisäer hielten sich streng an die Überlieferung. Sie erfüllten
gewissenhaft die äußeren Zeremonien und unterzogen sich eifrig den
rituellen Waschungen, Fastenzeiten und langatmigen Gebeten. Auch
beim Almosengeben taten sie sich hervor. Christus aber erklärte,
daß sie das Gesetz Gottes seines Sinnes beraubten, weil sie Men-
schengebote zu verbindlichen Lehren erklärten. Als Gruppe waren
sie Frömmler und Heuchler, dennoch gab es unter ihnen Menschen
mit echter Frömmigkeit. Die Sadduzäer verwarfen die Traditionen
der Pharisäer. Sie behaupteten zwar, den größeren Teil der heiligen
Schriften als Glaubensgrundlage und als Richtschnur ihres Han-
delns anzuerkennen, in Wirklichkeit aber waren sie Skeptiker und
Materialisten.
Die Sadduzäer leugneten die Existens der Engel, die Auferste-
hung der Toten und die Lehre von einem künftigen Leben. In all
diesen Lehrmeinungen unterschieden sie sich von den Pharisäern.
Zwischen beiden Gruppen war die Auferstehung ein besonderer
Streitpunkt. Die Pharisäer glaubten fest an die Auferstehung, doch
fühlten sie sich während der Streitgespräche, was ihre Ansichten
über das zukünftige Geschehen betrifft, völlig aus dem Gleichge-
wicht gebracht. Der Tod war für sie ein unerklärbares Geheimnis.
Ihre Unfähigkeit, die Behauptungen der Sadduzäer zu widerlegen,
ließ bei ihnen ständig Ärger aufkommen. Die Diskussionen zwi-
schen beiden Gruppen arteten gewöhnlich in heftige Streitereien aus
und ließen die Kluft zwischen ihnen nur noch breiter werden.
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