Seite 594 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
Die Männer, die Jesus die Frage vorlegten, meinten, daß sie ihre
Absicht ausreichend getarnt hätten. Jesus aber las in ihren Herzen
wie in einem Buch und erkannte ihre Heuchelei: „Was versuchet ihr
mich?“ entgegnete er und gab ihnen dadurch ein Zeichen, nach dem
sie nicht gefragt hatten, indem er ihnen zu erkennen gab, daß er ihre
geheimen Absichten durchschaute. Noch verwirrter waren sie, als er
hinzufügte: „Bringt mir einen Groschen!“ Sie taten es, und er fragte
sie: „Wes ist das Bild und die Aufschrift? Sie sprachen zu ihm: Des
Kaisers.“ Da wies Jesus auf die Inschrift der Münze und antwortete:
„So gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“
Markus 12,15-17
.
Die Späher hatten erwartet, daß Jesus ihre Frage so oder so direkt
beantworten werde. Hätte er gesagt: Es verstößt gegen das Gesetz,
dem Kaiser Steuern zu zahlen, dann hätten sie das den römischen
Behörden berichtet, und er wäre verhaftet worden mit der Begrün-
dung, versucht zu haben, einen Aufstand anzuzetteln. Falls er es
aber als legal hingestellt hätte, den Römern Steuern zu zahlen, dann
hätten sie ihn vor dem Volk als Gegner des Gesetzes Gottes anklagen
können. Jetzt waren sie verwirrt und niedergeschlagen. Ihre Pläne
waren durchkreuzt. Die summarische Art, mit der ihre Frage erledigt
worden war, schnitt ihnen weitere Entgegnungen ab.
Jesu Erwiderung enthielt keine Ausflucht, sondern er beantworte-
te aufrichtig ihre Frage. Er hielt die römische Münze in der Hand, die
Name und Abbild des Cäsaren trug, und erklärte, die Juden, welche
ja unter dem Schutz der römischen Macht lebten, sollten auch die
von ihnen geforderten Abgaben an sie entrichten, sofern sie dadurch
nicht in Konflikt mit einer höheren Pflicht gerieten. Doch während
sie als friedliche Bürger den Landesgesetzen gehorchen sollten,
würde Gott stets in erster Linie ihre treue Gefolgschaft zukommen.
Des Heilandes Worte: „So gebet ... Gott, was Gottes ist“ ent-
hielten eine strenge Zurechtweisung der jüdischen Ränkeschmiede.
Hätten sie gewissenhaft ihre Verpflichtungen gegenüber Gott er-
füllt, so wären sie als Nation nicht zerbrochen und nicht einer frem-
den Macht untertan geworden. Dann hätte kein römisches Banner
über Jerusalem geweht, keine römische Wache an den Toren Jeru-
salems gestanden und kein römischer Statthalter in seinen Mauern
geherrscht. Das jüdische Volk zahlte für seinen Abfall von Gott.
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