Seite 648 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
schen. Ein Beispiel habe ich euch gegeben, daß ihr tut, wie ich euch
getan habe. Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Knecht ist nicht
größer als sein Herr, noch der Apostel größer als der, der ihn gesandt
hat. Wenn ihr solches wisset, selig seid ihr, wenn ihr‘s tut.“
Johannes
13,12-17
. Der Mensch neigt von Natur aus dazu, sich selbst höher zu
achten als seinen Bruder; er strebt nach seinem Vorteil und versucht,
den besten Platz zu erringen. Dadurch entstehen übler Argwohn und
Bitterkeit. Die dem Abendmahl vorausgehende Handlung soll diese
Mißverständnisse aus dem Wege räumen; sie soll die Seele von der
Selbstsucht befreien und sie von den Stelzen der Selbstüberhebung
herabholen zu herzlicher Demut, die sie dahin bringen wird, ihrem
Bruder zu dienen.
Der heilige Wächter im Himmel ist bei dieser Handlung gegen-
wärtig, um sie zu einer Zeit der Selbstprüfung, der Sündenerkenntnis
und der Gewißheit der Sündenvergebung zu machen. Christus in
der Fülle seiner Gnade ist da, um den Lauf der Gedanken, die in
selbstsüchtigen Bahnen fließen, zu ändern. Der Heilige Geist belebt
das Empfindungsvermögen jener, die dem Beispiel ihres Heilandes
folgen. Wenn wir über die Demütigung des Heilandes, die er für uns
auf sich nahm, nachdenken, reiht sich Gedanke an Gedanke; eine
Kette von Erinnerungen steht vor unserem Auge, Erinnerungen an
Gottes große Güte sowie an das Wohlwollen und die Freundlichkeit
irdischer Freunde. Vergessene Segnungen, mißachtete Gnadener-
weise, geringgeschätzte Gefälligkeiten kehren in unser Gedächtnis
zurück. Wurzeln der Bitterkeit, die die kostbare Pflanze der Lie-
be verdrängt haben, werden offenbar. Charakterfehler, Pflichtver-
säumnisse, Undankbarkeit gegen Gott, Gleichgültigkeit gegenüber
unseren Brüdern, all das wird uns bewußt werden. Unsere Sündhaf-
tigkeit werden wir in dem Licht sehen, in dem Gott sie sieht. Unsere
Gedanken sind nicht Gedanken der Selbstgefälligkeit, sondern Ge-
danken strenger Selbstzucht und Demut. Unser Geist wird gestärkt,
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um alle Schranken niederzureißen, die die Entfremdung verursacht
haben. Böse Gedanken und Verleumdung werden ausgeschaltet,
Sünden bekannt und vergeben. Die bezwingende Gnade Jesu wird
in uns mächtig werden, und seine Liebe wird die Herzen zu einer
gesegneten Einmütigkeit verbinden.
Wenn die Lehre der Fußwaschung so eingeprägt ist, entsteht das
Verlangen nach einem höheren geistlichen Leben. Einem solchen