Seite 652 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
Bei der Fußwaschung hatte Christus den eindeutigen Beweis
gegeben, daß er den Charakter des Judas erkannte. „Ihr seid nicht
alle rein“ (
Johannes 13,11
), hatte er gesagt. Diese Worte überzeugten
den falschen Jünger, daß Jesus von seinen geheimen Absichten
wußte. Jetzt sprach Christus noch deutlicher. Als sie um den Tisch
saßen, sagte er, und dabei blickte er seine Jünger an: „Nicht rede
ich von euch allen; ich weiß, welche ich erwählt habe. Aber es muß
die Schrift erfüllt werden:
>
Der mein Brot isset, der tritt mich mit
Füßen.“
Johannes 13,18
.
Die Jünger hegten selbst jetzt noch keinen Verdacht gegen Judas;
sie bemerkten aber, daß der Heiland sehr bedrückt schien. Schatten
lagerten über ihnen, eine Vorahnung des schrecklichen Geschehens,
dessen Sinn sie nicht verstanden. Als sie schweigend aßen, sagte
Jesus: „Wahrlich, ich sage euch: Einer unter euch wird mich verra-
ten.“
Matthäus 26,21
. Bei diesen Worten ergriff sie Verwunderung
und Bestürzung. Sie konnten nicht verstehen, wie einer von ihnen
ihren göttlichen Lehrer so verräterisch behandeln sollte. Warum
sollte ihn jemand verraten? Und an wen? Wessen Herz konnte einen
solchen Plan hervorbringen? Gewiß keiner von den Zwölfen, die
das Vorrecht hatten, seine Lehren zu hören, die seine wundersame
Liebe teilten und denen er solch große Achtung erwies, indem er sie
in seine unmittelbare Gemeinschaft zog!
Als sie die Tragweite seiner Worte erkannten und sich daran
erinnerten, wie wahr seine Reden sonst waren, überfiel sie Furcht
und Mißtrauen gegen sich selbst. Sie begannen ihre eigenen Herzen
zu erforschen, ob auch nur ein Gedanke gegen ihren Meister dort
Raum hätte. In schmerzlichster Erregung fragte dann einer nach
dem andern: „Herr, bin ich‘s?“ Nur Judas schwieg. Tief betrübt
fragte Johannes endlich: „Herr, wer ist‘s?“
Matthäus 26,22
;
Johannes
13,25
. Und Jesus antwortete: „Der die Hand mit mir in die Schüssel
getaucht hat, der wird mich verraten. Des Menschen Sohn geht zwar
dahin, wie von ihm geschrieben steht; doch weh dem Menschen,
durch welchen des Menschen Sohn verraten wird! Es wäre ihm
besser, daß derselbe Mensch nie geboren wäre.“
Matthäus 26,23.24
.
Die Jünger hatten einander scharf angesehen, als sie fragten: „Herr,
bin ich‘s?“ Nun aber zog Judas durch sein Schweigen alle Blicke
auf sich. Wegen der durch die Fragen und Antworten entstandenen
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Unruhe und Bestürzungen hatte Judas die Antwort Jesu auf die Frage