Seite 708 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
würde, was eine Todesstrafe rechtfertigen könnte. Doch wenn sie
alle Zeugen seiner eigenen Worte wären, dann könnte ihr Vorhaben
noch Erfolg haben. Seinem Anspruch, der Messias zu sein, würden
sie ein aufrührerisches, politisches Ziel unterstellen.
„Bist du der Christus, so sage es uns!“ fragten sie ihn. Aber
Christus schwieg. Mit immer neuen Fragen drangen die Priester in
ihn. Schließlich antwortete er ihnen mit trauriger Stimme: „Sage
ich‘s euch, so glaubet ihr‘s nicht; frage ich aber, so antwortet ihr
nicht.“ Um ihnen aber jeden Rechtfertigungsgrund zu nehmen, fügte
er hinzu: „Von nun an wird des Menschen Sohn sitzen zur rechten
Hand der Kraft Gottes.“
„Bist du denn Gottes Sohn?“ fragten sie darauf wie aus einem
Munde, und er antwortete ihnen: „Ihr sagt‘s, ich bin‘s.“ Sie aber
riefen: „Was bedürfen wir weiter Zeugnis? Wir haben‘s selbst gehört
aus seinem Munde.“
Lukas 22,67-71
.
So wurde Jesus zum drittenmal von den jüdischen Obersten
zum Tode verurteilt. Alles, was sie jetzt noch brauchten, war, so
dachten sie, daß die Römer das Urteil bestätigten und ihnen den
Herrn auslieferten. Dann kam es zum drittenmal zu Mißhandlungen
und Schmähungen, die noch schlimmer waren als jene, die Jesus von
dem unwissenden Pöbel hinnehmen mußte. Dies alles geschah in der
Gegenwart der Priester und Obersten und mit ihrer Billigung. Jedes
Gefühl der Teilnahme oder der Menschlichkeit hatte sie verlassen.
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Reichten ihre Argumente nicht aus, seine Stimme zum Schweigen
zu bringen, sie hatten andere Waffen, solche wie sie zu allen Zeiten
angewandt wurden, um Andersgläubige zum Verstummen zu bringen
— Leiden, Gewalttat und Tod.
Als das Urteil gegen Jesus von den Richtern verkündet war, be-
mächtigte sich des Volkes eine satanische Wut. Das Geschrei ihrer
Stimmen glich dem Brüllen wilder Tiere. Die Menge stürzte auf
den Herrn zu und rief: „Er ist es Todes schuldig.“
Matthäus 26,66
.
Wären nicht die römischen Soldaten gewesen, Jesus hätte nicht mehr
lebendig ans Kreuz geschlagen werden können. Er wäre vor seinen
Richtern zerrissen worden, würden nicht die Römer dazwischenge-
treten sein und mit Waffengewalt die Ausschreitungen des Pöbels
verhindert haben.
Heidnische Männer ärgerten sich über die brutale Behandlung
dessen, dem keine Schuld hatte nachgewiesen werden können. Die