Seite 719 - Das Leben Jesu (1973)

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Kapitel 77: Bei Pilatus
Auf der Grundlage von
Matthäus 27,2.11-31
;
Markus 15,1-20
;
Lukas 23,1-25
;
Johannes 18,28-40
;
Johannes 19,1-16
.
In der Gerichtshalle des römischen Landpflegers Pilatus stand
Christus als Gefangener, um ihn herum die Wächter. Die Halle füllte
sich schnell mit Schaulustigen. Vor dem Eingang fanden sich die
Richter des Hohen Rates, Priester, Oberste, Älteste und der Pöbel
ein.
Nach Jesu Verurteilung hatten sich die Mitglieder des Hohen
Rates zu Pilatus begeben, damit dieser das Urteil bestätigte und
es vollstrecken ließe. Die jüdischen Beamten wollten jedoch die
römische Gerichtshalle nicht betreten, da sie nach ihrem Zeremo-
nialgesetz dadurch verunreinigt würden und dann am Passahfest
nicht teilnehmen könnten. In ihrer Verblendung erkannten sie nicht,
daß mordsüchtiger Haß ihre Herzen schon verunreinigt hatte. Sie
begriffen nicht, daß Jesus das wahre Passahlamm war und daß das
große Fest, seit sie ihn verworfen hatten, für sie längst bedeutungslos
geworden war.
Als Jesus in das Richthaus geführt wurde, blickte ihn Pilatus un-
freundlich an. Man hatte ihn in aller Eile aus seinem Schlafgemach
gerufen, und er wollte sich nun dieses Falles so rasch wie möglich
entledigen. Er war gewillt, den Gefangenen mit gebieterischer Stren-
ge zu behandeln. Er nahm einen ernsten Gesichtsausdruck an und
wandte sich um, den Mann zu mustern, den er verhören sollte und
um dessentwillen er zu so früher Morgenstunde aus dem Schlaf
geholt worden war. Ihm war bewußt, daß es sich um jemand handeln
mußte, den die jüdischen Obersten unverzüglich verhört und bestraft
sehen wollten.
Pilatus schaute zu den Männern hin, die Jesus bewachten; dann
ruhte sein Blick forschend auf Jesus. Er hatte schon mit Verbrechern
aller Art zu tun gehabt; aber noch nie war ein Mensch zu ihm ge-
bracht worden, der so viel Güte und natürlichen Adel ausstrahlte.
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