Seite 79 - Das Leben Jesu (1973)

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Tage der Auseinandersetzung
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tig für deren Charakterbildung. Josephs Söhne und Töchter wußten
das, und sie benutzten die mütterliche Sorge, um zu versuchen, Jesu
Handeln nach ihren Maßstäben zu korrigieren.
Maria machte Jesus oftmals Vorhaltungen und drängte ihn, sich
den Bräuchen der Schriftgelehrten anzupassen. Er aber konnte nicht
dazu überredet werden, seine Art, über die Werke Gottes nachzusin-
nen oder die Leiden der Menschen und sogar der Tiere zu lindern,
zu ändern. Als die Lehrer und Priester Maria um Hilfe bei der Be-
aufsichtigung Jesu baten, war sie sehr bekümmert. Friede zog erst
wieder in ihr Herz ein, als Jesus ihr die Schriftworte zeigte, die sein
Verhalten rechtfertigten.
Manchmal schwankte Maria zwischen Jesus und seinen Brü-
dern, die nicht glaubten, daß er der Gottgesandte sei. Es gab jedoch
reichliche Beweise dafür, daß er göttlicher Natur war. So stellte sie
fest, daß er sich für das Wohl anderer Menschen aufopferte. Schon
seine bloße Anwesenheit übte daheim einen saubereren Einfluß aus,
und sein Leben wirkte innerhalb der Gesellschaft wie ein Sauer-
teig. Schuld- und makellos lebte er inmitten gedankenloser, grober
und unhöflicher Menschen, unter betrügerischen Zöllnern, verderb-
ten verlorenen Söhnen, unreinen Samaritern, heidnischen Soldaten,
grobschlächtigen Bauern und dem zusammengewürfelten Pöbel.
Hier und da sprach er ein Wort des Mitgefühls, wenn er sah, wie
die Menschen trotz Erschöpfung ihre schweren Lasten weitertragen
mußten. Er teilte ihre Last mit ihnen und wiederholte so die Lehren
von der Liebe, Freundlichkeit und Güte Gottes, die er in der Natur
gelernt hatte.
Er lehrte die Menschen, die köstlichen Gaben zu erkennen, die
ihnen verliehen worden waren und die, richtig eingesetzt, ihnen ewi-
gen Reichtum zusicherten. Jegliche Eitelkeit verbannte er aus seinem
Leben und lehrte durch sein Beispiel, daß jeder Augenblick sich in
der Ewigkeit auswirken wird. Deshalb soll man ihn als einen Schatz
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erkennen und ihn nur für heilige Ziele einsetzen. Keinen Menschen
hielt er für wertlos, sondern versuchte jedes Menschenherz zu retten.
Wo immer er war, stets hatte er eine Lektion bereit, die der Zeit und
den Umständen angemessen war. Auch sehr grobe Menschen, die
geradezu aussichtslose Fälle waren, versuchte er dadurch mit Hoff-
nung zu erfüllen, daß er ihnen vor Augen führte, auch sie könnten
frei von Tadel und Schuld sein und ein Wesen erlangen, das sie als