Seite 832 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
und gerungen. Und von diesem Berge wollte er nun gen Himmel
fahren. Auf seinem Gipfel wird er auch verweilen, wenn er wieder
erscheinen wird. Nicht als ein Mann der Schmerzen, sondern als
siegreicher und triumphierender König wird er dann auf dem Öl-
berg stehen, während die große Schar der Erlösten ihren Lobgesang
anhebt: Krönt ihn, den Herrn aller Herren!
Jetzt schritt Jesus mit den elf Jüngern dem Berge zu. Als sie das
Jerusalemer Tor passierten, schauten viele der kleinen Gruppe nach,
die von einem angeführt wurde, den die Obersten erst vor einigen
Wochen verurteilt und ans Kreuz geschlagen hatten. Die Jünger
wußten nicht, daß dies ihr letztes Beisammensein mit dem Meister
sein würde. Jesus unterhielt sich die ganze Zeit über mit ihnen und
wiederholte dabei, was er ihnen früher schon mitgeteilt hatte. Als
sie sich dann Gethsemane näherten, blieb Jesus stehen, damit sich
die Jünger der Lehren erinnern sollten, die er ihnen in der Nacht
seines großen Seelenkampfes gegeben hatte. Erneut betrachtete er
den Weinstock, der ihm damals dazu gedient hatte, die Gemeinschaft
der Gläubigen mit ihm selbst und mit seinem Vater zu versinnbilden,
und er sprach abermals von den Wahrheiten, die er seinerzeit enthüllt
hatte. Alles um ihn herum barg Erinnerungen an seine unerwidert
gebliebene Liebe. Selbst die Jünger, die ihm so nahestanden, hatten
ihm in der Stunde seiner Erniedrigung Vorwürfe gemacht und ihn
verlassen.
Christus war dreiunddreißig Jahre lang auf dieser Erde gewesen.
Während dieser Zeit hatte er Verachtung, Beschimpfung und Spott
ertragen; er war verworfen und gekreuzigt worden. Nun, da er im
Begriff ist, zum Thron seiner Herrlichkeit emporzusteigen — und
er noch einmal die Undankbarkeit derer überdenkt, die zu retten
er gekommen war —, wird er ihnen da nicht seine Teilnahme und
Liebe entziehen? Wird sich seine Zuneigung nicht dorthin wenden,
wo er recht gewürdigt wird und wo sündlose Engel auf seine Befehle
warten? O nein; denen, die er liebt und auf Erden zurücklassen muß,
hat er versprochen: „Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“
Matthäus 28,20
.
Als sie den Ölberg erreicht hatten, führte sie Jesus quer über den
Gipfel auf die nach Bethanien weisende Seite. Hier verweilte er,
und seine Jünger scharten sich um ihn. Von seinem Antlitz schienen
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Lichtstrahlen auszugehen, als er sie liebevoll anschaute. Er tadelte