Seite 196 - Der gro

Basic HTML-Version

192
Der große Kampf
Thomas Münzer (Siehe Anm. 031), der eifrigste unter den
Schwärmern, war ein Mann mit bemerkenswerten Anlagen, die ihn,
richtig geleitet, befähigt hätten, Gutes zu tun; aber er hatte nicht ein-
mal die einfachsten Grundsätze wahrer Religion begriffen. „Er war
von dem Wunsche besessen, die Welt zu reformieren, und vergaß
dabei, wie alle Schwärmer, daß die Reform bei ihm selbst beginnen
mußte.“ Er hatte den Ehrgeiz, Stellung und Einfluß zu gewinnen
und wollte niemandem nachstehen, nicht einmal Luther. Er erklärte,
daß die Reformatoren, die die Autorität des Papstes durch die der
Heiligen Schrift ersetzten, nur eine andere Form des Papsttums auf-
richteten. Er selbst betrachtete sich als von Gott berufen, die wahre
Reformation einzuführen. „Wer diesen Geist besitzt“, sagte Münzer,
„besitzt den wahren Glauben, und wenn er niemals in seinem Leben
die Heilige Schrift zu Gesicht bekäme.“
Die schwärmerischen Lehrer ließen sich von Eindrücken leiten,
indem sie jeden Gedanken und jede Eingebung als die Stimme Got-
tes ansahen; infolgedessen begingen sie die größten Übertreibungen.
Einige verbrannten sogar ihre Bibeln, wobei sie ausriefen: „Der
Buchstabe tötet, aber der Geist macht lebendig.“ Münzers Lehre
kam dem Verlangen der Menschen nach dem Wunderbaren entge-
gen, während es ihren Stolz befriedigte, wenn menschliche Ideen
und Meinungen über das Wort Gottes erhoben wurden. Tausende
nahmen seine Lehren an. Er rügte jede Art öffentlichen Gottesdien-
stes und erklärte, den Fürsten gehorchen hieße versuchen, Gott und
Belial zu dienen.
Die Menschen, die das Joch des Papsttums abzuwerfen began-
nen, wurden nunmehr auch ungeduldig unter den Einschränkungen
der weltlichen Obrigkeit. Münzers revolutionäre Lehren, für die er
göttliche Eingebung beanspruchte, führten sie dahin, allen Zwang
abzuschütteln und ihren Vorurteilen und Leidenschaften freien Lauf
zu lassen. Schreckliche Szenen von Aufruhr und Aufständen folgten,
und der Boden Deutschlands wurde mit Blut getränkt.
Der Seelenkampf, den Luther lange vorher in Erfurt durchlebt
hatte, bedrängte ihn nun doppelt, als er die Folgen der Schwärmerei
sah, die man der Reformation zur Last legte. Die päpstlichen Fürsten
erklärten — und viele waren bereit, dem Glauben zu schenken —,
der Bürgerkrieg sei die natürliche Folge der Lehren Luthers. Obwohl
diese Behauptung jeder Grundlage entbehrte, brachte sie den Refor-