Seite 147 - Das Leben Jesu (1973)

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In seinem Tempel
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gebietet den Händlern, den Tempelbereich zu verlassen. Mit einem
Eifer und einer Strenge, wie er sie niemals vordem geübt hat, stößt
er die Tische der Geldwechsler um. Die Münzen fallen hell aufklin-
gend auf den marmornen Boden. Niemand wagt, Jesu Autorität in
Frage zu stellen; niemand hat den Mut, seinen Wuchergewinn vom
Boden aufzulesen. Obwohl Jesus mit der Geißel nicht zuschlägt,
erscheint sie doch in seiner hoch erhobenen Hand wie ein flammen-
des Schwert. Tempeldiener, schachernde Priester, Geldwechsler und
Viehhändler mit ihren Schafen und Ochsen eilen davon, getrieben
von dem einen Gedanken, dem verzehrenden Feuer der Gegenwart
Jesu so schnell wie möglich zu entfliehen.
Furcht ergreift die Menge, die von der Göttlichkeit Jesu berührt
wird. Hunderte bleicher Lippen stoßen Schreckensrufe aus, selbst
die Jünger zittern. Jesu Worte und sein Auftreten entsetzen sie um
so mehr, da es nicht nur ungewöhnlich, sondern auch ungewohnt
ist. Sie erinnern sich, daß von ihm geschrieben steht: „Der Eifer um
dein Haus hat mich gefressen.“
Johannes 2,17
.
Bald ist die lärmende Menge mit ihren Waren aus der Nähe
des Tempels verschwunden. Die Höfe sind frei von unheiligem
Handel, und eine tiefe, feierliche Stille legt sich über die Stätte
der Verwirrung. Die Gegenwart des Herrn, die vor alters den Berg
heiligte, hat jetzt den zu seiner Ehre erbauten Tempel geheiligt.
In der Reinigung des Tempels kündigte der Herr seine Aufgabe
als Messias an und begann damit sein Werk auf Erden. Jener Tempel,
errichtet als Wohnstätte Gottes, sollte für Israel und für die Welt die
Wahrheiten Gottes veranschaulichen. Von Ewigkeit her war es die
Absicht des Schöpfers, daß jedes geschaffene Wesen — vom glän-
zenden Seraph bis zum Menschen — ein Tempel Gottes sein sollte.
Infolge der Sünde verlor der Mensch dazu die Bereitschaft. Durch
das Böse verderbt und verfinstert, vermochte das Herz nicht mehr
die Herrlichkeit des Schöpfers zu offenbaren. Durch die Menschwer-
dung des Sohnes Gottes jedoch ist die Absicht des Himmels erfüllt.
Gott wohnt im Menschen, und durch seine errettende Gnade wird
das Herz des Menschen wieder zu einem Tempel des Herrn. Es war
Gottes Wille, daß der Tempel in Jerusalem ein beständiger Zeuge
sein sollte von der hohen Bestimmung, zu der jede Seele berufen
war. Aber die Juden hatten die Bedeutung des Hauses Gottes, das sie
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mit großem Stolz betrachteten, nicht erfassen können. Sie bereiteten