Seite 164 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Patriarchen und Propheten
Von Stund an, da Jakob das Erstgeburtsrecht empfing, wurde er von
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Selbstvorwürfen gequält. Er war schuldig geworden an seinem Va-
ter, an seinem Bruder, an sich selbst und hatte sich auch gegen Gott
versündigt. In kürzester Zeit hatte er vollbracht, was ihn lebenslang
reuen sollte. Und wenn ihn in späteren Jahren das gottlose Leben sei-
ner eigenen Söhne bedrückte, stand dieses Ereignis immer lebendig
vor ihm.
Jakob hatte kaum das Zelt seines Vaters verlassen, als Esau ein-
trat. Obwohl er sein Erstgeburtsrecht verkauft und die Übertragung
mit einem feierlichen Eid bekräftigt hatte, war er fest entschlossen,
sich des Segens ohne Rücksicht auf den Anspruch seines Bruders zu
bemächtigen. Mit dem geistlichen Erstgeburtsrecht war das irdische
verbunden, das ihm die Würde als Familienoberhaupt und den dop-
pelten Anteil am väterlichen Besitz verlieh. Das waren Dinge, die
er zu schätzen wußte. „Richte dich auf, mein Vater“, sagte er, „und
iß von dem Wildbret deines Sohnes, daß mich deine Seele segne.“
1.Mose 27,31
.
Zitternd vor Bestürzung und Schmerz erfuhr der alte, blinde Vater
den Betrug, den man an ihm verübt hatte. Seine beharrlich genährten
Hoffnungen waren durchkreuzt worden, und bitter empfand er die
Enttäuschung, die seinen ältesten Sohn überkommen mußte. Doch
blitzte die Überzeugung in ihm auf, daß Gottes Vorsehung seine
Absicht zunichte gemacht und gerade das zuwege gebracht hatte,
was er verhindern wollte. Er erinnerte sich an die Worte des Engels
zu Rebekka, und ungeachtet der Sünde, deren sich Jakob schuldig
gemacht hatte, sah er nun in ihm denjenigen, der Gottes Absichten
erfüllen würde. Während die Segensworte über seine Lippen ge-
flossen waren, hatte er den Geist der Weissagung auf sich gefühlt.
Nun, da er alle Umstände kannte, bestätigte er den Segen, den er
unwissend über Jakob ausgesprochen hatte: „Ich habe ihn gesegnet,
und er wird auch gesegnet bleiben.“ Vgl.
1.Mose 27,33
.
Esau sah den Segen als unwesentlich an, solange er ihm erreich-
bar schien, aber nachdem er ihn für immer verloren hatte, begehrte er
ihn. Die ganze Kraft seiner erregbaren, heftigen Natur wurde wach.
Sein Klagen und Zorn waren furchtbar. In maßlosem Jammer schrie
er: „Segne mich auch, mein Vater! ... Hast du mir denn keinen Se-
gen vorbehalten?“
1.Mose 27,34.36
. Aber Isaak konnte die einmal
ausgesprochene Verheißung nicht zurücknehmen. Das so sorglos