Seite 204 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Patriarchen und Propheten
doch durch Versuchungen, die irdischer Erfolg und Ansehen mit sich
bringen, leicht zu Fall gebracht werden. Aber Joseph bewährte sich
im Unglück ebenso wie im Glück. Er blieb Gott im Palaste Pharaos
genauso treu, wie er es in der Gefängniszelle gewesen war. Den-
noch war er ein Fremdling im heidnischen Land, getrennt von seinen
Angehörigen, die Gott anbeteten. Aber er glaubte fest, daß Gottes
Hand seine Schritte gelenkt hatte, und im anhaltenden Vertrauen
auf ihn verrichtete er treulich seine Amtspflichten. Durch Joseph
wurden der König und die Großen des Landes auf den wahren Gott
hingewiesen. Und wenn sie auch an ihrem Götzendienst festhielten,
so lernten sie doch die Grundsätze der Anbeter Jahwes achten, die
sich in ihrem Denken und Handeln offenbarten.
Wie war es Joseph aber möglich, solche Charakterfestigkeit, Auf-
richtigkeit und Umsicht zu erwerben? Lag es nicht daran, daß er sich
schon in jungen Jahren daran gewöhnt hatte, mehr der Pflicht als sei-
ner Neigung zu folgen? Und die Reinheit, der schlichte Glaube und
der Edelmut des jungen Menschen trugen im Mannesalter Früchte.
Eine einfache, keusche Lebensweise hatte die gesunde Entwicklung
der körperlichen und geistigen Kräfte begünstigt. Durch die Verbin-
dung mit Gott und das Versenken in die Wahrheiten, die Gott den
Erben des Glaubens anvertraut hatte, waren Josephs Geisteskräfte in
einem Maße entfaltet und verfeinert worden, wie das kein anderes
Studium vermocht hätte. Gewissenhafte Pflichterfüllung in jeder La-
ge, in den kleinen wie auch großen Anliegen, hatten jede Fähigkeit
zum besten Nutzen entwickelt. Wer in Übereinstimmung mit dem
Willen des Schöpfers lebt, dient sich in der Entfaltung eines edlen
Wesens selbst am besten. „Die Furcht des Herrn, das ist Weisheit,
und meiden das Böse, das ist Einsicht.“
Hiob 28,28
.
Nicht viele machen sich klar, welchen Einfluß kleine Dinge im
Leben auf die Charakterentwicklung haben. Nichts, womit wir zu
tun haben, ist wirklich unbedeutend. Mit allem, was uns Tag für
Tag begegnet, wird unsere Pflichttreue geprüft und werden wir zu
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größeren Aufgaben befähigt. Durch Grundsatztreue im Alltagsleben
gewöhnen wir uns daran, die Pflicht über Neigung und Vergnügen zu
stellen. Wer so erzogen ist, schwankt nicht wie ein Rohr im Winde
zwischen Recht und Unrecht; er tut seine Pflicht, weil ihm Treue
und Wahrheitsliebe zur guten Gewohnheit geworden sind. Indem er