Seite 207 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Joseph und seine Brüder
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geworden? Er wollte die Wahrheit wissen. „Ihr seid Kundschafter“,
sagte er deshalb schroff, „und seid gekommen zu sehen, wo das Land
offen ist.“
1.Mose 42,9
.
Sie antworteten: „Nein, mein Herr! Deine Knechte sind gekom-
men, Getreide zu kaufen. Wir sind alle eines Mannes Söhne; wir sind
redlich, und deine Knechte sind nie Kundschafter gewesen.“
1.Mose
42,10.11
. Joseph wollte feststellen, ob sie noch denselben hochfah-
renden Sinn hätten wie damals, als er noch bei ihnen war. Außerdem
wollte er ihnen auch Auskünfte über die Familie entlocken. Aber
er wußte nur zu genau, daß sie ihn mit ihren Aussagen täuschen
konnten. So wiederholte er seine Beschuldigung. Sie antworteten
darauf: „Wir, deine Knechte, sind zwölf Brüder, eines Mannes Söhne
im Lande Kanaan, und der jüngste ist noch bei unserm Vater, aber
der eine ist nicht mehr vorhanden.“
1.Mose 42,13
.
Zum Schein bezweifelte der Regent die Wahrhaftigkeit ihrer
Erzählung und gab vor, daß er noch immer Kundschafter in ihnen
sähe. Er wolle sie prüfen und verlange von ihnen, daß sie in Ägyp-
ten blieben, bis einer von ihnen hingezogen wäre, um den jüngsten
Bruder zu holen. Wenn sie dem nicht zustimmten, würden sie als
Spione behandelt. Aber auf solche Forderung konnten Jakobs Söhne
nicht eingehen. Bis sie das zeitlich schafften, waren ihre Familien
in Hungersnot geraten. Und wer von ihnen würde die Reise allein
machen wollen und seine Brüder im Gefängnis lassen? Wie hätte
der Betreffende unter solchen Umständen dem Vater gegenübertre-
ten können? Es schien ja durchaus möglich, daß sie hingerichtet
oder aber zu Sklaven gemacht werden sollten; und würde Benjamin
gebracht, dann möglicherweise nur, um ihr Schicksal zu teilen. Sie
entschlossen sich deshalb, zu bleiben und miteinander zu leiden, als
dem Vater durch den Verlust des allein übriggebliebenen Sohnes
neues Leid zuzufügen. Also wurden sie ins Gefängnis geworfen und
blieben drei Tage darin.
In den Jahren nach der Trennung von Joseph hatten sich Jakobs
Söhne in ihrem Charakter gewandelt. Sie waren neidisch und hin-
terlistig, grausam und rachsüchtig gewesen. Aber als sie nun in der
Not auf die Probe gestellt wurden, erwiesen sie sich als selbstlos,
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einander treu, ihrem Vater ergeben und sogar als Männer mittleren
Alters seiner Autorität untertan.