Seite 211 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Joseph und seine Brüder
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und als Simeon, den man aus dem Gefängnis entlassen hatte, wieder
zu ihnen kam, begriffen sie, daß Gott mit ihnen gewesen war.
Als der Regent erneut mit ihnen zusammenkam, überreichten sie
ihm ihre Geschenke und „fielen vor ihm nieder zur Erde“.
1.Mose
43,26
. Wieder kamen ihm die Träume in den Sinn, und nachdem er
seine Gäste begrüßt hatte, fragte er hastig: „Geht es eurem alten Vater
gut, von dem ihr mir sagtet? Lebt er noch?“ Sie antworteten ihm: „Es
geht deinem Knechte, unserm Vater, gut, und er lebt noch.“
1.Mose
43,27.28
. Danach verneigten sie sich wieder vor ihm. Als sein Blick
auf Benjamin fiel, fragte er: „Ist das euer jüngster Bruder, von dem
ihr mir sagtet?“ Dann fügte er hinzu: „Gott sei dir gnädig, mein
Sohn!“ Von Rührung überwältigt, konnte er nicht weiter sprechen;
er eilte hinaus, „ging in seine Kammer und weinte daselbst.“
1.Mose
43,29.30
.
Nachdem er seine Selbstbeherrschung wiedergewonnen hatte,
kehrte er zurück, und für alle begann ein Festmahl. Nach ihren Ka-
stengesetzen durften Ägypter nicht gemeinsam mit den Angehörigen
eines andern Volkes essen. Deshalb saßen Jakobs Söhne an einer Ta-
fel für sich, während der Regent mit Rücksicht auf seinen Rang allein
aß und auch die Ägypter besondere Tische erhielten. Als sie Platz
genommen hatten, stellten die Brüder überrascht fest, daß sie alle in
der genauen Reihenfolge ihres Alters saßen. „Und man trug ihnen
Essen auf von seinem Tisch, aber Benjamin bekam fünfmal mehr
als die andern.“
1.Mose 43,34
. Durch diese Bevorzugung Benjamins
hoffte Joseph sich darüber Gewißheit zu verschaffen, ob sie ihrem
jüngsten Bruder ebenso wie einst ihm selbst gegenüber Haß und
Mißgunst bewiesen. Da die Brüder noch immer annahmen, Joseph
verstünde ihre Sprache nicht, unterhielten sie sich ungezwungen
miteinander. So hatte er gute Gelegenheit, ihre wahren Gefühle ken-
nenzulernen. Doch wollte er sie noch weiter prüfen und befahl vor
ihrem Aufbruch, seinen eigenen silbernen Trinkbecher in dem Sack
des Jüngsten zu verstecken.
Froh traten sie die Heimreise an. Simeon und Benjamin wa-
ren bei ihnen, ihre Tiere mit Getreide beladen, und alle hatten das
Gefühl, Gefahren entronnen zu sein, von denen sie anscheinend
umgeben gewesen waren. Aber sie hatten kaum die Stadtgrenze
erreicht, als der Hausverwalter des Herrschers sie einholte und ihnen
die vernichtende Frage stellte: „Warum habt ihr Gutes mit Bösem
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