Seite 298 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Patriarchen und Propheten
Zu den Dingen, die die Ägypter als Sinnbild ihrer Götter ansahen, ge-
hörte das Rind oder Kalb. Und die solchen Götzendienst in Ägypten
gepflegt hatten, waren jetzt die Anstifter dazu, ein Kalb zu machen
und es anzubeten. Das Volk wünschte sich irgendein Bild, das Gott
darstellen sollte und ihm an Moses Stelle voranging. Gott hatte sie
in keiner Weise seine Gestalt sehen lassen und jede sichtbare Dar-
stellung für solchen Zweck verboten. Die überwältigenden Wunder
in Ägypten und am Roten Meer geschahen ja mit der Absicht, ihren
Glauben an den unsichtbaren, allmächtigen Helfer Israels, den einzig
wahren Gott, zu festigen. Und das Verlangen nach einer sichtbaren
Offenbarung seiner Gegenwart war ihnen sowohl mit der Wolken-
und Feuersäule gewährt worden, die ihre große Schar geleitet hatte,
als auch durch die Offenbarung seiner Herrlichkeit auf dem Berge
Sinai. Aber mit der Wolke seiner Gegenwart vor Augen wandten
sie sich in ihrem Inneren zurück zum Götzendienst Ägyptens und
stellten die Herrlichkeit des unsichtbaren Gottes in der Gestalt eines
Rindes dar!
Während Moses Abwesenheit war Aaron die richterliche Amts-
gewalt übertragen worden. Eine riesige Menge versammelte sich
nun um sein Zelt und forderte: „Auf, mach uns einen Gott, der vor
uns hergehe! Denn wir wissen nicht, was diesem Mann Mose wider-
fahren ist, der uns aus Ägyptenland geführt hat.“
2.Mose 32,1
. Sie
meinten, die Wolke, die ihnen bisher voranging, ruhe jetzt ständig
auf dem Berge und würde sie nicht länger auf ihrer Wanderung gelei-
ten. Sie müßten ein Bildnis an ihrer Stelle haben. Und falls sie sich,
wie einige vorschlugen, für die Rückkehr nach Ägypten entscheiden
sollten, würden sich die Ägypter wohlwollend verhalten, wenn sie
dieses Bild vor sich her trügen und damit als ihren Gott anerkannten.
Solche Krise verlangte eine entschlossene, willensstarke und mu-
tige Persönlichkeit, die Gottes Ehre über Volksgunst und persönliche
Sicherheit, selbst über das Leben stellte. Aber solchen Charakter
besaß der derzeitige Führer Israels nicht. Aaron machte dem Volk
gegenüber nur schwache Einwendungen, aber gerade durch seine
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Unschlüssigkeit und Furchtsamkeit im entscheidenden Augenblick
wurde es um so entschlossener. Die Erregung wuchs. Blinde, unver-
nünftige Raserei schien von der Menge Besitz zu ergreifen. Wohl
blieben einige ihrem Bund mit Gott treu, aber die Mehrzahl willigte
in den Abfall ein. Zwar wagten einige wenige, das geplante Bild