Seite 367 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Vom Sinai nach Kadesch
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Worte durch den Propheten Micha. Mirjams starke Persönlichkeit
hatte sich schon früh entwickelt. Sie bewachte am Nil das Körbchen,
in dem der Säugling Mose verborgen war. Gott benutzte ihre Selbst-
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beherrschung und ihr Feingefühl, um den Befreier seines Volkes
zu bewahren. Da sie dichterisch und musikalisch sehr begabt war,
führte sie an der Küste des Roten Meeres Israels Frauen im Gesang
und beim Tanz an. Nur Mose und Aaron genossen mehr Zuneigung
des Volkes und Wertschätzung des Himmels als sie. Dennoch kam
dasselbe Übel, das im Himmel Zwietracht verursachte, im Herzen
dieser israelitischen Frau auf. In ihrer Unzufriedenheit fand sie auch
jemanden, der ebenso darunter litt.
Bei der Ernennung der siebzig Ältesten waren Mirjam und Aaron
nicht zu Rate gezogen worden. Das erregte bei beiden Eifersucht auf
Mose. Schon als die Israeliten noch auf dem Wege zum Sinai waren
und Jethro sie besuchte, war in beiden die Sorge wach geworden,
daß Jethros Einfluß auf Mose vielleicht ihren eigenen übersteigen
könnte, weil dieser den Rat seines Schwiegervaters so bereitwillig
annahm. Sie meinten, bei der Bildung des Ältestenrates seien ihre
Stellung und ihr Ansehen unbeachtet geblieben. Mirjam und Aaron
begriffen wohl nie ganz die Schwere der Sorge und Verantwortung,
die auf Mose ruhte. Weil sie dazu ausersehen waren, ihm zu helfen,
glaubten sie, gemeinsam mit ihm die Lasten der Führung zu tragen.
Deshalb hielten sie die Berufung weiterer Helfer für ungerechtfertigt.
Mose empfand die Bedeutung der ihm anvertrauten großen Auf-
gabe wie kein anderer. Er erkannte seine eigene Schwachheit und
erwählte Gott zu seinem Ratgeber. Aaron schätzte sich selbst höher
ein und vertraute weniger auf Gott. Als ihm dann Verantwortung
übertragen wurde, versagte er. Am Sinai hatte er seine Charakter-
schwäche bewiesen, als er dem Götzendienst in so verächtlicher
Willfährigkeit zustimmte. Aber blind vor Eifersucht und Ehrgeiz,
verloren Mirjam und Aaron das ganz aus den Augen. Gott hat-
te Aaron mit der Berufung seiner Familie zum heiligen Amt des
Priestertums sehr ausgezeichnet; aber gerade das steigerte sein Ver-
langen nach Selbsterhebung. So sprachen sie: „Redet denn der Herr
allein durch Mose? Redet er nicht auch durch uns?“
4.Mose 12,2
.
Da sie sich ebenfalls für von Gott begnadet hielten, meinten sie, die
gleichen Ansprüche auf Stellung und Ansehen zu haben.