Seite 57 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Kain und Abel
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fühlte er sich über den Rat seines Bruders erhaben und verachtete
ihn.
Kain opferte unwillig und ohne rechten Glauben an das ver-
heißene Opfer und die Notwendigkeit des Sündopfers überhaupt.
Seine Gabe brachte keinerlei Reue über begangenes Unrecht zum
Ausdruck. Wie es heutzutage viele Menschen tun, hielt er es für ein
Eingeständnis von Schwäche, den Wegen Gottes zu folgen und seine
Errettung nur der Versöhnung des verheißenen Heilandes zuzutrau-
en. Er zog es vor, im Bewußtsein des eigenen Verdienstes und mit
eigenen Leistungen zu kommen. Er wollte kein Lamm darbringen
und dessen Blut mit seinem Opfer vermischen, sondern seine Früch-
te und die Erzeugnisse seiner Arbeit anbieten. Sein Opfer wirkte
wie ein Geschenk, das er Gott bot, um sich dadurch das göttliche
Wohlgefallen zu sichern. Kain gehorchte, als er den Altar baute und
Gott ein Opfer brachte; aber das war nur ein Teil. Das Wesentliche
nämlich, seine Erlösungsbedürftigkeit, empfand er nicht.
Nach ihrer Herkunft und Unterweisung im Glauben unterschie-
den sich die Brüder nicht voneinander. Beide waren sie Sünder und
anerkannten Gottes Recht auf Verehrung und Anbetung. Äußerlich
gesehen unterschied sich also ihr Glaube bis zu einem gewissen
Grade kaum. Und doch bestand ein großer Unterschied zwischen
ihnen.
„Durch den Glauben hat Abel Gott ein besseres Opfer gebracht
als Kain.“
Hebräer 11,4
. Abel hatte den erhabenen Erlösungsgedan-
ken erfaßt. Er war sich seiner Sündhaftigkeit bewußt und erkannte,
daß zwischen ihm und Gott die Sünde und ihr Lohn, der Tod, stand.
Er brachte das geschlachtete Tier, das geopferte Lamm, und erkannte
damit die Forderungen des übertretenen Gesetzes an. Das vergosse-
ne Blut wies ihn hin auf das zukünftige Opfer Christi am Kreuz von
Golgatha. Und im Vertrauen auf die Versöhnung, die dort geschehen
sollte, empfing er das Zeugnis, daß er gerechtfertigt und sein Opfer
angenommen sei.
Kain hätte wie Abel diese Wahrheiten kennenlernen und an-
nehmen können. Er war keiner willkürlichen Entscheidung preisge-
geben. Gott hatte nicht den einen Bruder erwählt und den andern
verworfen. Nur entschied sich Abel für Glauben und Gehorsam,
Kain dagegen für Unglauben und Empörung. Das ist die Erklärung.
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