Seite 611 - Patriarchen und Propheten (1999)

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Sauls Vermessenheit
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Autorität gilt. Nicht lange zuvor maßte er sich bei Gilgal gegen
Gottes Gebot priesterliche Aufgaben an. Als Samuel ihn deswegen
tadelte, hatte er sich verstockt gerechtfertigt. Hier wurde sein eigener
unvernünftiger Befehl unwissentlich übertreten, und der König und
Vater verurteilte seinen eigenen Sohn zum Tode.
Aber die Krieger lehnten die Urteilsvollstreckung ab. Mutig
traten sie dem zornigen König entgegen und sagten: „Sollte Jonathan
sterben, der dies große Heil in Israel vollbracht hat? Das sei ferne! So
wahr der Herr lebt: es soll kein Haar von seinem Haupt auf die Erde
fallen, denn Gott hat heute durch ihn geholfen.“
1.Samuel 14,45
.
Der stolze Monarch wagte gegen dieses einstimmige Urteil nichts
zu sagen, und so blieb Jonathan am Leben.
Saul verhehlte sich nicht, daß sein Sohn ihm sowohl vom Volk
als auch vom Herrn vorgezogen wurde. Jonathans Freispruch war
für den voreiligen König ein schwerer Vorwurf. Er begann zu ahnen,
daß seine Flüche einmal auf ihn selbst zurückfallen würden. Kurz
entschlossen brach er den Krieg gegen die Philister ab und kehrte
verstimmt und unzufrieden nach Hause zurück.
Wer schnell dabei ist, eigenes Unrecht zu entschuldigen oder zu
rechtfertigen, verurteilt andere oft sehr hart. Wie Saul erregen viele
Gottes Mißfallen, aber Rat verschmähen sie und Vorwürfe weisen sie
zurück. Selbst wenn sie sich davon überzeugen müssen, daß der Herr
nicht mit ihnen ist, suchen sie den Grund ihrer Schwierigkeiten nicht
bei sich. Stolz und anmaßend erlauben sie sich harte Urteile über
andere, die oft besser sind als sie. Wer sich zum Richter aufwirft,
täte gut daran, einmal über die Worte Christi nachzudenken: „Mit
welcherlei Gericht ihr richtet, werdet ihr gerichtet werden; und mit
welcherlei Maß ihr messet, wird euch gemessen werden.“
Matthäus
7,2
.
Gerade solche Überheblichen kommen manchmal in Lagen,
wobei sich ihr wahrer Charakter zeigt. So war es bei Saul. Sein Ver-
halten überzeugte das Volk, daß ihm königliche Ehre und Autorität
mehr bedeuteten als Gerechtigkeit und Barmherzigkeit. Jetzt sahen
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sie, wie verkehrt es war, die von Gott eingesetzte Regierung zu ver-
werfen. Sie hatten den gottesfürchtigen Propheten, dessen Fürbitte
ihnen Segen brachte, gegen einen König eingetauscht, der ihnen in
blindem Eifer hätte fluchen mögen.