Seite 383 - Auf den Spuren des gro

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Kapitel 41: Umgang mit anderen
Jeder Umgang mit anderen Menschen erfordert Selbstbeherr-
schung, Nachsicht und Mitgefühl. Wir unterscheiden uns so sehr in
unserer Veranlagung, unseren Gewohnheiten und unserer Ausbil-
dung, daß unsere Sichtweisen völlig verschieden sind.
Jeder entscheidet auf seine Weise. Unser Verständnis von Wahr-
heit und unsere Vorstellungen von Lebensführung sind verschieden.
Es gibt keine zwei Menschen, deren Lebenserfahrungen sich völlig
gleichen. Die Prüfungen des einen sind nicht die Prüfungen eines an-
deren. Pflichten, die einer mit Leichtigkeit verrichtet, sind für einen
anderen höchst schwierig und schwer zu begreifen.
Die Natur des Menschen ist so labil, so unwissend und so anfällig
für falsche Vorstellungen, daß jeder bei der Beurteilung anderer
sorgfältig sein sollte. Wir wissen wenig davon, wie sich unsere
Handlungen auf die Lebenserfahrung anderer auswirken. Was wir
tun oder sagen, mag uns nur von geringer Tragweite erscheinen,
während wir — wenn unsere Augen geöffnet würden — sehen
könnten, daß davon die wichtigsten Ergebnisse für das Gute oder
das Böse abhängen.
Rücksichtnahme auf die Beladenen
Es gibt Menschen, deren Leben immer in ruhigen, geordneten
Bahnen verlief. Ihre Herzen haben kaum wirklichen Schmerz ken-
nengelernt, und sie haben so selten Kummer und Leid wegen anderer
erlebt, daß sie die Situation von Menschen mit wirklichen seelischen
Lasten nicht verstehen können. Es ist ihnen nicht möglich, solche
Belastungen einzuschätzen, wie auch ein Kind nicht imstande ist,
die Sorge und Mühe seines kummerbeladenen Vaters zu verstehen.
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Das Kind mag sich über die Ängste und Ratlosigkeiten seines Va-
ters wundern; sie erscheinen ihm unnötig. Aber wenn es im Laufe
der Jahre eigene Erfahrungen gesammelt hat, wenn es selbst lernen
mußte, seine Lasten zu tragen, wird es auf das Leben seines Va-
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