Seite 354 - Das Wirken der Apostel (1976)

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Das Wirken der Apostel
Schließlich erreichten die Reisenden Forum Appii, das nur etwa
60 Kilometer von Rom entfernt lag. Während sie sich ihren Weg
durch die Menschenmassen auf der großen Verkehrsstraße bahnten,
wurde dem ergrauten Apostel, der mit hartgesottenen Verbrechern
zusammengekettet war, manch verächtlicher Blick zugeworfen. Er
mußte es sich gefallen lassen, Zielscheibe roher Scherze und spötti-
scher Bemerkungen zu sein.
Plötzlich aber war ein Freudenschrei zu hören. Aus der Schar der
Vorüberdrängenden stürzte ein Mann hervor, fiel dem Gefangenen
um den Hals und umarmte ihn unter Freudentränen, so wie ein Sohn
nach langer Abwesenheit seinen Vater begrüßt. Dies wiederholte
sich mehrmals, denn viele erkannten mit dem von freudiger Erwar-
tung geschärften Blick in dem gefesselten Gefangenen den Mann,
der ihnen in Korinth, Philippi und Ephesus die Worte des Lebens
verkündigt hatte.
In herzlicher Liebe scharten sich die Jünger um ihren Vater im
Glauben, so daß der ganze Zug zum Stehen gebracht wurde. Zwar
wurden die Kriegsknechte wegen der Verzögerung ungeduldig; den-
noch brachten sie es nicht über sich, diese freudigen Begegnungen
zu unterbrechen, hatten doch auch sie ihren Gefangenen achten
und schätzen gelernt. Die Gläubigen sahen in dem abgehärmten,
leiddurchfurchten Antlitz den Widerglanz des Bildes Christi. Sie
versicherten Paulus, daß sie nicht aufgehört hätten, ihn zu lieben,
daß sie ihn nie vergessen würden und daß sie ihm dankbar seien für
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die freudige Hoffnung, die ihr Leben durchdringe und ihnen Frieden
mit Gott verleihe. Wenn es ihnen gestattet worden wäre, hätten sie
Paulus am liebsten auf ihren Schultern bis hin zur Stadt getragen.
Als der Apostel seine Glaubensbrüder sah, „dankte er Gott und
gewann Zuversicht“.
Apostelgeschichte 28,15
. Wenige mögen er-
messen, welche Bedeutung diesen Worten des Lukas zukommt.
Inmitten der weinenden, mitfühlenden Gläubigen, die sich seiner
Fesseln nicht schämten, pries der Apostel Gott mit lauter Stimme.
Die Wolke der Traurigkeit, die sein Gemüt bedrückt hatte, war ver-
schwunden. Wohl war sein Christenleben eine ununterbrochene
Folge von Anfechtungen, Leid und Enttäuschungen gewesen, doch
in dieser Stunde fühlte er sich für alles reichlich entschädigt. Mit
festem Schritt und freudigem Herzen setzte er seinen Weg fort. Er
wollte weder über die Vergangenheit klagen noch sich vor der Zu-