Seite 152 - Der gro

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Der große Kampf
urteilung zu erreichen. Mit einer Beharrlichkeit, die einer besseren
Sache würdig gewesen wäre, lenkte er die Aufmerksamkeit der Für-
sten, Prälaten und anderer Mitglieder der Versammlung auf Luther,
indem er den Reformator des Aufstandes, der Empörung, der Gott-
losigkeit und Gotteslästerung beschuldigte. Aber die Heftigkeit und
Leidenschaft, die der Legat an den Tag legte, zeigten nur zu deutlich,
wessen Geist ihn antrieb. Man fühlte allgemein, „es sei mehr Neid
und Rachelust als Eifer der Frömmigkeit, die ihn aufreizten“
Die
Mehrzahl der Reichsstände war geneigter denn je, Luthers Sache
günstig zu beurteilen.
Mit doppeltem Eifer drang Aleander in den Kaiser, daß es seine
Pflicht sei, die päpstlichen Erlasse auszuführen. Das konnte jedoch
unter den bestehenden deutschen Gesetzen nicht ohne die Zustim-
mung der Fürsten geschehen. Schließlich gestattete Karl dem Lega-
ten, seine Sache vor den Reichstag zu bringen. „Es war ein großer
Tag für den Nuntius. Die Versammlung war groß, noch größer war
die Sache. Aleander sollte für Rom, die Mutter und Herrin aller Kir-
chen, das Wort führen.“ Er sollte vor den versammelten Machthabern
der Christenheit das Fürstentum Petri rechtfertigen. „Er hatte die
Gabe der Beredsamkeit und zeigte sich der Erhabenheit des Anlasses
gewachsen. Die Vorsehung wollte es, daß Rom vor dem erlauch-
testen Tribunal erscheinen und seine Sache durch den begabtesten
seiner Redner vertreten werden sollte, ehe es verdammt würde.
Mit Besorgnis sahen die Gönner des Reformators der Wirkung der
Rede Aleanders entgegen. Der Kurfürst von Sachsen war nicht zu-
gegen, doch wohnten nach seiner Bestimmung etliche seiner Räte
bei, um die Rede des Nuntius berichten zu können.
Aleander bot alle Gelehrsamkeit und Redekunst auf, um die
Wahrheit zu stürzen. Beschuldigung auf Beschuldigung schleuderte
er gegen Luther, den er einen Feind der Kirche und des Staates,
der Lebenden und der Toten, der Geistlichkeit und der Laien, der
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Konzilien und der einzelnen Christen nannte. Er sagte, in Luthers
Schriften seien so viele Irrtümer, daß hunderttausend Ketzer ihret-
halben verbrannt werden könnten.
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Cochlaeus, „Commentaria de actis et scriptis Lutheri“ 54f., Köln, 1568
1
Wylie, „History of Protestantism“, 6.Buch, Kapitel 4