Seite 151 - Der gro

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Luther vor dem Reichstag
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dem Kaiser mit Spannung entgegen. Seine Gesundheit hatte zu jener
Zeit sehr gelitten; doch schrieb er an den Kurfürsten: „Ich werde,
wenn man mich ruft, kommen, so weit an mir liegt, ob ich mich
auch krank müßte hinfahren lassen, denn man darf nicht zweifeln,
daß ich von dem Herrn gerufen werde, wenn der Kaiser mich ruft.
Greifen sie zur Gewalt, wie es wahrscheinlich ist — denn dazu, um
belehrt zu werden, lassen sie mich nicht rufen —, so muß man dem
Herrn die Sache befehlen; dennoch lebt und regiert derselbige, der
die drei Knaben im Feuerofen des Königs von Babylon erhalten hat.
Will er mich nicht erhalten, so ist‘s um meinen Kopf eine geringe
Sache ... man muß nur dafür sorgen, daß wir das Evangelium, das
wir begonnen, den Gottlosen nicht zum Spott werden lassen ... Wir
wollen lieber unser Blut dafür vergießen. Wir können nicht wissen,
ob durch unser Leben oder unsern Tod dem allgemeinen Wohle mehr
genützt werde ... Nimm von mir alles, nur nicht, daß ich fliehe oder
widerrufe: Fliehen will ich nicht, widerrufen noch viel weniger.
Als sich in Worms die Nachricht verbreitete, daß Luther vor
dem Reichstag erscheinen sollte, rief sie allgemeine Aufregung her-
vor. Der päpstliche Gesandte, Aleander, dem der Fall besonders
anvertraut worden war, geriet in Unruhe und Wut. Er sah, daß die
Folgen für die päpstliche Sache unheilvoll werden würden. Eine
Untersuchung anzustellen in einem Fall, in dem der Papst bereits
das Verdammungsurteil ausgesprochen hatte, hieße die Autorität des
unumschränkten Priesterfürsten geringzuschätzen. Er befürchtete
auch, daß die beredten und eindringlichen Beweisführungen dieses
Mannes viele Fürsten von der Sache des Papstes abspenstig ma-
chen könnten. Er erhob deshalb vor Kaiser Karl in dringlicher Weise
Einwendungen gegen das Erscheinen Luthers vor dem Reichstag.
Ungefähr um diese Zeit wurde die Bulle, welche Luthers Exkom-
munikation erklärte, veröffentlicht. Diese Tatsache sowie die Vor-
stellungen des Legaten veranlaßten den Kaiser nachzugeben. Er
schrieb dem Kurfürsten von Sachsen, Friedrich dem Weisen, daß
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der Martinus Luther in Wittenberg bleiben müsse, wenn er nicht
widerrufen wolle.
Nicht zufrieden mit diesem Sieg, wirkte Aleander mit aller ihm
zu Gebote stehenden Macht und Schlauheit darauf hin, Luthers Ver-
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Enders, Bd. III 24, 21.12.1520