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Die Reformation in Frankreich
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schen obliege. „Bist du der Kirche Christi angehörig“, sagt er, „so
bist du ein Glied am Leibe Christi und als solches mit Göttlichkeit
erfüllt ... Wenn die Menschen dieses Vorrecht begriffen, so würden
sie sich rein, keusch und heilig halten, alle Ehre dieser Welt für eine
Schmach achten im Vergleich zu der inneren Herrlichkeit, welche
den fleischlichen Augen verborgen ist.
Unter Fabers Schülern befanden sich etliche, die eifrig seinen
Worten lauschten, und die lange, nachdem die Stimme ihres Leh-
rers zum Schweigen gebracht worden war, fortfahren sollten, die
Wahrheit zu verkündigen. Zu diesen gehörte William Farel. Als
Sohn frommer Eltern erzogen, die Lehren der Kirche in unbeding-
tem Glauben hinzunehmen, hätte er mit dem Apostel Paulus von
sich selbst erklären können: „Ich bin ein Pharisäer gewesen, welches
ist die strengste Sekte unsers Gottesdienstes.“
Apostelgeschichte
26,5
. Als ergebener Anhänger Roms brannte er vor Eifer, alle jene
zu vernichten, die es wagen sollten, sich der Kirche zu widersetzen.
„Ich knirschte mit den Zähnen wie ein wütender Wolf, wenn sich
irgendeiner gegen den Papst äußerte“
sagte er später über diesen
Abschnitt seines Lebens. Er war unermüdlich gewesen in seiner
Verehrung der Heiligen und hatte gemeinschaftlich mit Faber die
Runde in den Kirchen gemacht, in denen er an den Altären anbetete
und die Heiligenschreine mit Gaben schmückte. Aber diese äußerli-
che Frömmigkeit konnte ihm keinen Seelenfrieden verschaffen. Ein
Bewußtsein der Sünde, das alle Bußübungen, die er sich auferlegte,
nicht verbannen konnten, bemächtigte sich seiner. Er lauschte den
Worten des Reformators, wie auf eine Stimme vom Himmel: „Das
Heil ist aus Gnaden; der Unschuldige wird verurteilt, der Schuldi-
ge freigesprochen.“ „Das Kreuz Christi allein öffnet den Himmel,
schließt allein das Tor der Hölle.
Freudig nahm Farel die Wahrheit an. Durch eine Bekehrung,
die der des Apostels Paulus ähnlich war, wandte er sich von der
Knechtschaft menschlicher Satzungen zu der Freiheit der Kinder
Gottes und „war so umgewandelt, daß er nicht mehr die Mordlust
eines wilden Wolfes hatte, sondern einem sanften Lamme glich,
[214]
1
D‘Aubigné, „Geschichte der Reformation“, 12.Buch, 2.Abschnitt, 290
1
Wylie, „History of Protestantism“, 13.Buch, Kapitel 2, 129
1
Wylie, „History of Protestantism“, 13.Buch, Kapitel 2, 129