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Der große Kampf
dung oder Erinnerung an das Kreuzopfer, sondern es vollzieht sich
ein wirkliches Opfer auf dem Altar. Die Theologen reden so zwar
von einer ‚Wiederholung‘ des Kreuzopfers auf dem Altar: dadurch
soll aber die Identität des Meßopfers mit dem Kreuzesopfer nicht
angetastet werden. Wird nun Christus selbst als Subjekt des Opfers
auf dem Altar verstanden, so läßt sich offenbar Luthers Vorwurf
gegen das ‚Menschenwerk‘ nicht aufrechterhalten. Es ist in der Ge-
genwart wichtig, daß wir uns über diesen Punkt Klarheit verschaffen.
Diese Klarheit läßt sich aber nicht leicht gewinnen, da hier auf der
katholischen Seite selbst nicht alles klar zu sein scheint.
Zunächst kann man Luther nicht zum Vorwurf machen, daß er
die Identität zwischen Kreuzesopfer und Meßopfer nicht beachtet
hat; denn die Formulierung des Tridentinums ist erst nach seinem
Tode erfolgt. Sie findet sich aber in keiner früheren offiziellen Leh-
rentscheidung klar ausgesprochen. Im Canon missae, also in der
kirchlichen Liturgie, an die sich Luther in erster Linie halten mußte,
ist sie keineswegs klar zum Ausdruck gebracht. Im Gegenteil, alle
einschlägigen Stellen dort sprechen unumwunden von einem Opfer
der Kirche und des Priesters. Mehrfach wird darum gebeten, Gott
möge diese ‚heiligen, makellosen Opfergaben‘ gnädig annehmen.
Diese Bitte wird bei einem Selbstopfer Christi schwer begreiflich.
Die Opfergabe wird als eine solche bezeichnet, ‚die wir, deine Die-
ner und deine ganze Gemeinde, darbringen‘. Der Priester bittet, Gott
möge unser Opfer ebenso gnädig annehmen, wie einst die Opfer
Abels, Abrahams und Melchisedeks. Auch diese Bitte setzt doch
wohl voraus, daß die Kirche bzw. der Priester Subjekt des Opferns ist
... Aus dem Canon missae konnte also Luther kein zwingendes Ar-
gument gegen seine Auffassung von der Messe als Opfer der Kirche
gewinnen. Offenbar stand Luther mit seiner Auffassung nicht allein.
Es gab im Mittelalter Stimmen, welche die Macht des Priesters über
die Christi stellten; denn Christus habe sich nur einmal geopfert, der
Priester aber tue dies täglich. Eine ähnliche Auffassung begegnet
uns noch in dem Hirtenbrief des Erzbischofs Johannes Katschthaler
von Salzburg vom 2. Februar 1905. Hier heißt es unter anderem:
‚Einmal hat Maria das göttliche Kind zur Welt gebracht. Und sehet,
der Priester tut dies nicht einmal, sondern hundert- und tausendmal,
so oft er zelebriert. Machen sie (die Priester) den Leib, das Blut
des Herrn nur gegenwärtig? Nein. Sondern sie opfern, sie bringen