Seite 144 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
Summen als freiwillige Spende aufgebracht, die in die Schatzkam-
mer des Tempels flossen. Es wurde erwartet, daß alles fremde Geld
eingewechselt würde in die Münze, die man Sekel des Heiligtums
nannte und für den Dienst im Tempel annahm. Dieser Geldwechsel
bot Gelegenheit zu Betrug und Wucher und war zu einem entehren-
den Gewerbe geworden, das aber eine gute Einnahmequelle für die
Priester bildete.
Die Händler verlangten ungewöhnlich hohe Preise für die Opfer-
tiere und teilten ihren Gewinn mit den Priestern und Obersten, die
sich dadurch auf Kosten des Volkes bereicherten. Die Anbetenden
waren gelehrt worden zu glauben, daß der Segen Gottes nicht auf
ihren Kindern und auf ihrem Acker ruhte, wenn sie keine Opfer
brächten. Auf diese Weise konnte ein hoher Preis für die Opfertiere
gefordert werden; denn wer einen weiten Weg zurückgelegt hat-
te, wollte nicht in die Heimat zurückkehren, ohne den Opferdienst
erfüllt zu haben, zu dem er herbeigeeilt war.
Zur Zeit des Passahfestes wurden viele Opfer dargebracht, und
der Verkauf im Vorhof war äußerst rege. Die dadurch entstehende
Unruhe ließ eher auf einen lärmenden Viehmarkt als auf den heiligen
Tempel Gottes schließen. Man hörte erregtes Feilschen, das Brüllen
des Rindviehs, das Blöken der Schafe und das Girren der Tauben,
vermischt mit dem Geräusch klingender Münzen und dem Lärm
zorniger Wortgefechte. Die Unruhe war so groß, daß es die Andäch-
tigen störte, und ihre Gebete wurden übertönt von dem Tumult, der
bis in den Tempel drang. Die Juden waren außerordentlich stolz auf
ihre Frömmigkeit. Sie bewunderten ihren Tempel und empfanden
jedes Wort, das gegen ihn gesprochen wurde, als Lästerung. Sie
hielten auch sehr streng auf die Beachtung der mit ihm verbundenen
gottesdienstlichen Handlungen; aber ihre Liebe zum Geld hatte alle
Bedenken überwunden. Sie waren sich kaum bewußt, wie weit sie
von der ursprünglichen Bedeutung des Dienstes abgewichen waren,
den Gott selbst eingesetzt hatte.
Als der Herr sich einst auf den Berg Sinai herabließ, wurde dieser
Ort durch seine Gegenwart geheiligt. Mose erhielt den Auftrag, den
Berg einzuzäunen und ihn zu heiligen. Gott erhob warnend seine
Stimme und sagte: „Hütet euch, auf den Berg zu steigen oder seinen
Fuß anzurühren; denn wer den Berg anrührt, der soll des Todes
sterben. Keine Hand soll ihn anrühren, sondern er soll gesteinigt