Seite 184 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
Als er Kana erreichte, fand er den Herrn inmitten einer großen
Menschenmenge. Besorgten Herzens drängte er sich in die Nähe des
Heilandes. Sein Glaube begann aber doch wankend zu werden, als er
nur einen schlicht gekleideten Mann erkannte, der zudem von seiner
Wanderung noch staubbedeckt und angegriffen aussah. Er zweifelte,
daß dieser Mann seine Bitte erfüllen könnte, verschaffte sich aber
dennoch die Gelegenheit einer Unterredung mit Jesus, teilte ihm
sein Anliegen mit und bat ihn, daß er mit in sein Haus käme. Jesus
kannte seinen Kummer bereits; denn ehe jener Beamte sein Haus
verließ, hatte der Herr seine Niedergeschlagenheit schon gesehen.
Er wußte aber auch, daß der Vater seinen Glauben an ihn, den
Messias, von der Erfüllung seiner Bitte abhängig gemacht hatte.
Darum sagte er dem ängstlich Wartenden: „Wenn ihr nicht Zeichen
und Wunder seht, so glaubt ihr nicht.“
Johannes 4,48
.
Ungeachtet aller Beweise, daß Jesus der Christus war, hatte sich
der Bittsteller entschlossen, nur dann an ihn zu glauben, wenn er
seine Bitte erfüllen würde. Der Heiland verglich diesen zweifelnden
Unglauben mit dem einfachen Glauben der Samariter, die kein Wun-
der oder Zeichen erbeten hatten. Sein Wort, das immer gegenwärtige
Zeugnis seiner Göttlichkeit, hatte eine Überzeugungskraft, die ihre
Herzen berührte. Christus litt darunter, daß sein eigenes Volk, dem
die Weissagungen Gottes anvertraut worden waren, es versäumte,
auf die Stimme des Herrn zu hören, die durch seinen Sohn zu ihnen
sprach.
Dennoch hatte der königliche Beamte ein bestimmtes Maß an
Glauben; er war gekommen, um den ihm am kostbarsten erscheinen-
den Segen zu erbitten. Jesus aber hatte ein größeres Geschenk für
ihn bereit. Er wollte nicht nur das Kind heilen, sondern den Beamten
und seine Familie an den Segnungen des Heils teilhaben lassen und
in Kapernaum, das bald sein eigenes Arbeitsfeld werden sollte, ein
Licht anzünden. Aber der Beamte mußte sich zuerst bewußt werden,
daß er Hilfe brauchte, bevor ihn nach der Gnade verlangte. Dieser
Edelmann stand für viele in seinem Lande. Sie interessierten sich
nur aus selbstsüchtigen Beweggründen für Christus. Sie hofften,
durch seine Macht irgendeinen besonderen Nutzen zu haben, und sie
machten ihren Glauben davon abhängig, daß er ihnen diese weltliche
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Gunst gewähre; aber sie waren sich ihrer geistlichen Krankheit nicht
bewußt und erkannten nicht, daß sie der göttlichen Gnade bedurften.