Seite 233 - Das Leben Jesu (1973)

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Die Berufung am See
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Kaufleute und Rabbiner, Reiche und Gelehrte, Alte und Junge; sie
brachten ihre Kranken und Leidenden mit und drängten sich nach
vorn, um die Worte des göttlichen Lehrers zu hören. Solche Erleb-
nisse hatten die Propheten erwartet, und sie schrieben: „Das Land
Sebulon und das Land Naphthali, die Straße am See, das Land jen-
seits des Jordan, das heidnische Galiläa, das Volk, das in Finsternis
saß, hat ein großes Licht gesehen; und die da saßen am Ort und
Schatten des Todes, denen ist ein Licht aufgegangen.“
Matthäus
4,15.16
.
In seiner Predigt dachte Jesus nicht nur an die Menschenmenge
am Ufer des Sees Genezareth, sondern auch an eine andere Zuhörer-
schaft. Indem er die vor ihm liegenden Zeitalter überblickte, sah er
seine treuen Diener im Gefängnis und vor Gericht, in Versuchung,
Einsamkeit und Trauer. Jedes Bild der Freude, der Auseinander-
setzung und der Ratlosigkeit sah er vor sich. Die gleichen Worte,
die er zu den um ihn herum Versammelten sprach, waren auch an
diese anderen Menschen gerichtet, so daß sie in Zeiten der Prü-
fung Hoffnung, im Leid Trost und in der Finsternis himmlisches
Licht empfingen. Durch den Heiligen Geist sollte jene Stimme, die
vom Fischerboot auf dem See Genezareth aus sprach, vernehmbar
sein, indem sie bis zum Ende der Zeit menschlichen Herzen Frieden
zuspricht.
Nach seiner Rede ersuchte Jesus den Petrus, auf den See hinaus
zu fahren und sein Netz zu einem Fang auszuwerfen. Aber Petrus war
entmutigt; denn er hatte die ganze Nacht nichts gefangen. Während
der stillen Stunden hatte er an das Schicksal Johannes des Täufers
gedacht, der einsam in seinem Kerker schmachtete. Er hatte dann
weiter an die Zukunft Jesu und seiner Nachfolger denken müssen
und sich mit dem Mißerfolg des Werkes in Judäa und mit der Bosheit
der Priester und der Rabbiner beschäftigt. Sogar sein eigener Beruf
enttäuschte ihn jetzt, und während er bei den leeren Netzen wachte,
schien ihm die Zukunft dunkel und entmutigend. „Meister“, sagte
er, „wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen; aber
auf dein Wort will ich das Netz auswerfen.“
Lukas 5,5
.
Die Nacht war die günstigste Zeit für den Fischfang mit Netzen in
dem klaren Wasser des Sees; darum erschien es auch als aussichtslos,
nach dem Mißerfolg der Jünger zur Nachtzeit nun am Tage das Netz
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auszuwerfen. Doch Jesus hatte es geboten, und sie gehorchten aus