Seite 250 - Das Leben Jesu (1973)

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Kapitel 27: „So du willst, kannst du mich wohl
reinigen ...“
Auf der Grundlage von
Matthäus 8,2-4
;
Matthäus 9,1-8
;
Matthäus
8,32-43
;
Markus 1,40-45
;
Markus 2,1-12
;
Lukas 5,12-28
.
Von allen im Orient bekannten Krankheiten wurde der Aussatz
am meisten gefürchtet. Sein ansteckender, unheilbarer Charakter
und die schreckliche Wirkung auf seine Opfer entsetzten selbst den
Tapfersten. Unter den Juden hielt man den Aussatz für ein göttliches
Strafgericht als Folge der Sünde und bezeichnete ihn deshalb als
Schicksalsschlag oder „Fingerzeig Gottes“. Da er chronisch, un-
heilbar und damit tödlich war, wurde er als ein Sinnbild der Sünde
betrachtet. Das Zeremonialgesetz erklärte einen Aussätzigen für
unrein. Wie ein bereits Toter war er von menschlichen Ansiedlun-
gen ausgeschlossen. Was immer er berührte, wurde dadurch unrein;
selbst die Luft wurde durch seinen Atem verdorben. Wer verdächtig
war, unter dieser Krankheit zu leiden, mußte sich den Priestern vor-
stellen, die ihn zu untersuchen und seinen Fall zu entscheiden hatten.
Erklärten sie ihn für aussätzig, wurde er von seiner Familie wie über-
haupt von dem ganzen Volk getrennt und blieb fortan verurteilt, nur
mit denen zusammen zu leben, die in gleicher Weise heimgesucht
wurden. Die Forderungen des Gesetzes waren unerbittlich. Selbst
für Könige und Oberste gab es keine Ausnahme. So mußte etwa ein
Herrscher, der von der schrecklichen Krankheit erfaßt wurde, seine
Regentschaft aufgeben und sich von der Gesellschaft fernhalten.
Von Freunden und Verwandten getrennt, mußte der Aussätzige
den Fluch seiner Krankheit tragen. Er war verpflichtet, sein Un-
glück offen bekanntzugeben, seine Gewänder zu zerreißen und laute
Warnrufe auszustoßen, damit jeder seine ansteckende Nähe meiden
konnte. Wenn einer jener einsamen Ausgestoßenen klagend den Ruf
„Unrein! Unrein!“ vernehmen ließ, galt dies als ein Signal, das man
mit Furcht und Abscheu zur Kenntnis nahm.
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