Seite 337 - Das Leben Jesu (1973)

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Ein lebendiger Glaube
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hatten sich bereits eingestellt und erfüllten die Luft mit ihrem lauten
Wehklagen. Die vielen Menschen und der große Lärm bedrückten
den Herrn. Er gebot ihnen Schweigen und sagte: „Was lärmet und
weinet ihr? Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft.“
Markus
5,39
. Die Menge war entrüstet über die Worte des Fremdlings. Sie
hatte doch den Tod des Mädchens selbst miterlebt. So wurden Jesu
Worte verlacht. Er aber forderte die Juden auf, das Haus zu verlassen,
nahm die Eltern des Mädchens und die Jünger Petrus, Jakobus und
Johannes zu sich und ging mit ihnen in das Sterbezimmer.
Jesus näherte sich dem Totenlager, nahm des Kindes Hand und
sagte in der vertrauten Sprache ihrer Heimat mit weicher Stimme:
„Mägdlein, ich sage dir, stehe auf!“
Markus 5,41
.
Sofort kam Leben in die regungslose Gestalt des Mädchens;
der Puls begann wieder zu schlagen, die Lippen öffneten sich mit
einem Lächeln, die Augen taten sich weit auf wie nach einem langen
Schlaf. Das Mädchen blickte verwundert auf die Anwesenden. Es
stand auf, und die Eltern schlossen ihr Kind mit Tränen der Freude
in den Augen in ihre Arme.
Auf dem Wege zum Haus des Obersten hatte sich Jesus eine
arme Frau genähert, die seit zwölf Jahren an einer schrecklichen
Krankheit litt, die ihr das Leben zur Last machte. Sie hatte ihr ganzes
Vermögen für Ärzte und Heilmittel ausgegeben, um schließlich doch
als unheilbar erklärt zu werden. Ihre Hoffnung belebte sich neu, als
sie von den Wunderheilungen Jesu hörte, und sie glaubte fest, daß sie
genesen würde, könnte sie nur in seine Nähe kommen. So schleppte
sie sich denn mühsam ans Ufer, wo Jesus lehrte, und versuchte durch
die Menge hindurchzukommen. Doch vergeblich. Abermals folgte
sie ihm, als er aus dem Hause des Levi-Matthäus kam. Und wieder
gelang es ihr nicht, sich bis in seine Nähe vorzudrängen. Sie wollte
schon den Mut sinken lassen, als der Herr auf seinem Weg durch die
Menge in ihre Nähe kam.
Nun war die Gelegenheit günstig: Die Frau befand sich in unmit-
telbarer Nähe des großen Arztes! Aber inmitten der Unruhe konnte
sie nicht mit ihm reden, ja kaum einen flüchtigen Blick auf ihn wer-
fen. Schon fürchtete sie, daß ihr diese einzigartige Gelegenheit, Hilfe
zu erhalten, verlorengehen könnte. Mit aller Gewalt drängte sie sich
noch weiter nach vorn und sagte zu sich selbst: „Wenn ich auch nur
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seine Kleider könnte anrühren, so würde ich gesund.“
Markus 5,28
.