Seite 338 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
Als Jesus vorüberging, streckte sie die Hand aus, und es gelang ihr,
den Saum seines Gewandes zu berühren. Im gleichen Augenblick
fühlte sie, daß sie geheilt war. Sie hatte in diese eine Berührung ihren
ganzen Glaubensmut gelegt, und sofort trat die Kraft vollkommener
Gesundheit an die Stelle von Schmerz und Schwäche.
Mit dankerfülltem Herzen wollte sich die Frau wieder aus der
Menge zurückziehen; aber Jesus blieb plötzlich stehen, und die Men-
schen folgten seinem Beispiel. Er wandte sich um und fragte mit
einer Stimme, die aus dem Lärm der Menge klar herauszuhören war:
„Wer hat mich angerührt?“
Lukas 8,45
. Ein erstaunter Blick aus den
Augen der Umstehenden war die stumme Antwort. Da er in dem
großen Gedränge, in dem er sich seinen Weg bahnen mußte, bald
hier, bald da angestoßen wurde, wunderten sich die Leute sehr über
seine seltsame Frage.
Der vorlaute Petrus antwortete Jesus: „Meister, das Volk drängt
und drückt dich.“
Lukas 8,45
. Jesus aber sprach: „Es hat mich je-
mand angerührt; denn ich fühlte, daß eine Kraft von mir gegangen
ist.“
Lukas 8,46
. Der Heiland konnte die Berührung des Glaubens
von dem absichtslosen Anrühren im Gedränge wohl unterschieden.
Das gläubige Vertrauen sollte nicht ungewürdigt bleiben. Jesus woll-
te der demütigen Frau Worte des Trostes zusprechen, die ihr eine
Quelle der Freude sein würden — Worte, die allen seinen Nachfol-
gern bis zum Ende der Zeit Segen verhießen.
Jesus richtete seinen Blick auf die geheilte Frau und fragte, wer
ihn angerührt habe. Sie mußte erkennen, daß ein Verheimlichen
unmöglich wäre, trat zitternd hervor, warf sich dem Herrn zu Füßen
und erzählte unter Tränen der Dankbarkeit ihre Leidensgeschichte
und auf welche Weise sie Heilung gefunden hätte. Jesus sprach mit
gütiger Stimme zu ihr: „Meine Tochter, dein Glaube hat dir geholfen.
Gehe hin in Frieden!“
Lukas 8,48
. Er gab nicht dem Aberglauben
Raum, daß allein das einfache Berühren seines Gewandes Heilung
bewirkte. Nicht durch äußerliche Berührung, sondern durch den
Glauben, der seine göttliche Macht erfaßte, wurde die Frau geheilt.
Die staunende Menge, die Christus umdrängte, spürte nichts
von seiner lebendigen Kraft. Aber als die leidende Frau ihre Hand
ausstreckte, um ihn zu berühren, und dabei glaubte, daß sie geheilt
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werden würde, fühlte sie die heilende Wirkung. So ist es auch in
geistlichen Dingen. Gelegentlich ein religiöses Gespräch zu führen