Seite 442 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
Es war nicht nur ein Erntedankfest, sondern sollte vor allem eine
Gedächtnisfeier sein für Gottes schützende Fürsorge in der Wüste.
Zum Gedenken an das Zeltleben wohnten die Juden während der
sieben Tage in Lauben oder Hütten aus grünen Zweigen, die auf
den Straßen, in den Tempelhöfen und auf den Dächern errichtet
wurden. Sogar die Hügel und Täler rings um Jerusalem waren mit
„Laubhütten“ bedeckt und schienen von Menschen zu wimmeln.
Mit geistlichen Liedern und Dankgebeten feierten die Juden
dieses Fest. Der große Versöhnungstag, der kurz vorher begangen
worden war, hatte nach dem allgemeinen Bekenntnis der Sünden
Frieden mit dem Himmel in die Herzen gebracht und damit den Weg
zu diesem frohen Fest vorbereitet. „Danket dem Herrn; denn er ist
freundlich, und seine Güte währet ewiglich“ (
Psalm 106,1
), so tönte
es weit und breit, während der Klang der verschiedensten Musikin-
strumente, vermischt mit Hosianna-Rufen, den frohlockenden Jubel
begleitete. Der Tempel war der Mittelpunkt dieser allgemeinen Freu-
de. Hier entfaltete sich aller Glanz der Opferzeremonien. Auf den
Marmortreppen des Tempels stehend, führte der Levitenchor den
Gesang an; die anbetende Menge bewegte im gleichen Takt Palmen-
und Myrtenzweige hin und her und wiederholte mit lauter Stimme
den Kehrreim des Liedes. Immer mehr Andächtige nahmen diesen
Gesang auf, und immer weiter drang der Schall dieser Klänge, bis
er Stadt und Umgebung mit dem Lobe Gottes füllte.
Bei Dunkelheit erleuchtete künstliches Licht den Tempel mit
seinen Vorhöfen. Musik und das Schwenken der Palmzweige, die
Hosianna-Rufe der gewaltigen Volksmenge, über die sich das Licht
der hängenden Lampen ergoß, die Pracht der priesterlichen Gewän-
der und das Feierliche des Gottesdienstes vereinigten sich zu einem
Erleben, das die Menge tief beeindruckte. Am nachhaltigsten aber
war die Wirkung jenes Augenblickes, in dem eines Ereignisses ge-
dacht wurde, das sich während der Wüstenwanderung abgespielt
hatte.
Beim ersten Morgengrauen ließen die Priester einen langen,
gellenden Ton aus ihren silbernen Posaunen erschallen; die antwor-
tenden Trompetentöne und die Freudenrufe des Volkes, die über
Berge und Täler hallten, begrüßten den Festtag. Ein Priester füllte
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eine silberne Kanne mit Wasser aus der Quelle Siloah und stieg
unter dem Schall der Posaunen langsamen, feierlichen Schrittes mit