Seite 443 - Das Leben Jesu (1973)

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Auf dem Laubhüttenfest
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der hocherhobenen Kanne die Stufen des Tempels hinauf; dazu
sang er die Psalmworte. „Nun stehen unsere Füße in deinen Toren,
Jerusalem.“
Psalm 122,2
.
Der Priester trug die Kanne mit dem heiligen Wasser zum Altar,
der in der Mitte des Priesterhofes stand und auf dem sich zwei
silberne Schalen befanden. Ein anderer Priester füllte die eine Schale
mit dem Wasser aus der Siloahquelle, während die zweite Schale
von einem dritten Priester mit Wein gefüllt wurde. Nun flossen
Wasser und Wein zusammen durch eine Röhre in den Kidron und
von hier weiter in das Tote Meer. Diese Darstellung des geweihten
Wassers versinnbildete den Quell, der auf Gottes Befehl dem Felsen
entsprang, um den Durst Israels in der Wüste zu stillen. Während
dieser Handlung sang die Menge: „Gott der Herr ist meine Stärke
... Ihr werdet mit Freuden Wasser schöpfen aus den Heilsbrunnen.“
Jesaja 12,2.3
.
Als Josephs Söhne sich vorbereiteten, das Laubhüttenfest in Je-
rusalem zu besuchen, bemerkten sie zu ihrem Erstaunen, daß Jesus
selbst keinen Anteil an den Vorkehrungen zu nehmen schien. Ih-
re Besorgnis war um so größer, da Christus seit der Heilung am
Teich Bethesda zu keinem der großen jüdischen Feste nach Jeru-
salem gekommen war; er hatte sich in seiner Tätigkeit ganz auf
Galiläa beschränkt, um unnötige Reibereien mit dem Hohen Rat in
Jerusalem zu vermeiden. Die scheinbare Vernachlässigung der got-
tesdienstlichen Zusammenkünfte in der Hauptstadt und die offene
Feindschaft der Priester und Rabbiner gegen Christus beunruhigten
seine Umgebung sehr. Von dieser Unruhe blieben auch die Jünger
und die nächsten Verwandten nicht verschont. Der Herr hatte oft
über den Segen des Gehorsams gegenüber dem Gesetz gesprochen;
um so erstaunlicher war es nun, daß er selbst den von Gott einge-
setzten Festen gleichgültig gegenüberzustehen schien. Sein Umgang
mit Zöllnern und anderen verdächtigen Leuten, die Mißachtung der
rabbinischen Verordnungen und die Freiheit, mit der er die altüber-
lieferten Satzungen über den Sabbat behandelte, brachten ihn in
Gegensatz zu der jüdischen Führungsschicht und ließen manche
Frage aufkommen. Seine Brüder hielten es für einen Fehler, daß er
sich von den einflußreichen und bedeutenden Männern des Volkes
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lossagte. Sie glaubten, daß jene Männer im Recht sein müßten, und
sie hielten es für tadelnswert, daß Jesus sich im Gegensatz zu jenen