Seite 545 - Das Leben Jesu (1973)

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Zachäus
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auch gegenüber den geächteten Menschenklassen freundlich und
höflich verhielt. Der Oberste der Zöllner war von der Sehnsucht nach
einem besseren Leben erfaßt worden. Johannes der Täufer hatte am
Jordan, nur wenige Kilometer von Jericho entfernt, gepredigt, und
dessen Bußruf hatte auch Zachäus vernommen. Die an die Zöllner
gerichtete Anweisung: „Fordert nicht mehr, als euch verordnet ist“
(
Lukas 3,13
), war ihm zu Herzen gegangen, obwohl er sie äußerlich
mißachtete. Er kannte die heiligen Schriften und war überzeugt, daß
er falsch gehandelt hatte. Da er nun die Worte hörte, die von dem
großen Lehrer stammten, fühlte er, daß er in den Augen Gottes ein
Sünder war. Doch was er von Jesus gehört hatte, ließ Hoffnung in
seinem Herzen aufflammen. Zu bereuen und sein Leben zu erneuern,
war selbst bei ihm möglich. War nicht einer aus dem engsten Jünger-
kreis des neuen Lehrers auch ein Zöllner gewesen? Zachäus begann
sofort der Überzeugung zu folgen, die ihn überwältigt hatte, und an
jenen Menschen, die er geschädigt hatte, wiedergutzumachen.
Schon war er dabei, seinen bisherigen Weg zurückzuverfolgen,
als die Kunde durch Jericho ging, daß Jesus in die Stadt einziehe. In
Zachäus entbrannte der Wunsch, den Herrn zu sehen. Gerade erst be-
gann ihm zu dämmern, wie bitter die Früchte der Sünde schmecken
und wie mühsam der Pfad ist, auf dem er versuchte, sich von dem
Unrecht abzuwenden. Mißverstanden zu sein und die Bemühun-
gen seine Fehler wiedergutzumachen, mit Mißtrauen und Argwohn
betrachtet zu sehen, das war schwer zu ertragen. Der Oberste der
Zöllner sehnte sich danach, dem Einen ins Angesicht zu sehen, des-
sen Worte sein Herz so hoffnungsfroh gemacht hatten.
Die Straßen waren gedrängt voll, und Zachäus, nur von kleiner
Statur, konnte nicht über die Köpfe der anderen hinwegsehen. Keiner
würde ihm Platz machen. So rannte er ein wenig der Menge vor-
aus zu einem Maulbeerfeigenbaum, dessen Äste sich über den Weg
breiteten. Der reiche Zöllner erklomm einen Sitz im Gezweig, von
wo aus er die Kolonne überblicken konnte, wenn sie unter ihm vor-
überzog. Die Menge kam näher und schritt vorbei, während Zachäus
mit suchenden Augen den zu erkennen trachtete, den er zu sehen
begehrte.
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Das Geschrei der Priester und Rabbis und die Willkommensrufe
der Menge durchdringend, fand das unausgesprochene Verlangen
des Obersten der Zöllner Eingang in Jesu Herz. Plötzlich, gerade