Seite 546 - Das Leben Jesu (1973)

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Das Leben Jesu
unter dem Maulbeerfeigenbaum, verhielt eine Gruppe ihren Schritt,
die ganze Begleitung stockte, und Jesus, dessen Blick in der Seele zu
lesen schien, schaute nach oben. Der Mann im Baum glaubte nicht
recht zu hören, als er vernahm: „Zachäus, steig eilend hernieder;
denn ich muß heute in deinem Hause einkehren.“
Lukas 19,5
.
Die Menge gab den Weg frei, und Zachäus ging, wie in einem
Traum befangen, den Weg voran seinem Hause zu. Doch die Rabbis
blickten grollend auf dieses Geschehen und murmelten unzufrieden
und abschätzig: „Bei einem Sünder ist er eingekehrt.“
Lukas 19,7
.
Zachäus war von der Liebe und Zuneigung, die Jesus ihm, dem
Unwürdigen, entgegenbrachte, überwältigt und sehr verwundert; und
er verstummte. Nur die Liebe und Ergebenheit gegenüber seinem
neugefundenen Meister öffneten ihm die Lippen. Er wollte sein
Bekenntnis und seine Reue allen kundtun.
Im Beisein der großen Volksmenge trat er „vor den Herrn und
sprach: Siehe, Herr, die Hälfte meiner Güter gebe ich den Armen,
und wenn ich jemand betrogen habe, das gebe ich vierfältig wieder.
Jesus aber sprach zu ihm: Heute ist diesem Hause Heil widerfahren,
denn auch er ist Abrahams Sohn.“
Lukas 19,8.9
.
Als der reiche Jüngling gegangen war, hatten sich die Jünger
über die Worte ihres Meisters entsetzt: „Wie schwer ist‘s für die, so
ihr Vertrauen auf Reichtum setzen, ins Reich Gottes zu kommen!“
Sie hatten einander gefragt. „Wer kann dann selig werden?“
Markus
10,24.26
. Nun war ihnen die Wahrheit der Worte Christi veranschau-
licht worden: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist bei Gott
möglich.“
Lukas 18,27
. Sie erkannten, wie ein Reicher dank der
Gnade Gottes in das Himmelreich kommen konnte.
Noch ehe Zachäus Jesus begegnet war, hatte er das begonnen,
was ihn als echten Büßer auswies; noch ehe er von Menschen be-
schuldigt wurde, hatte er seine Sünde bekannt. Er hatte sich der
Wirksamkeit des Heiligen Geistes überlassen und die Lehren auszu-
führen begonnen, die für das alte Israel ebenso geschrieben waren,
wie sie für uns geschrieben sind, Gott hatte einst gesagt: „Wenn dein
Bruder neben dir verarmt und nicht mehr bestehen kann, so sollst du
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dich seiner annehmen wie eines Fremdlings oder Beisassen, daß er
neben dir leben könne; und du sollst nicht Zinsen von ihm nehmen
noch Aufschlag, sondern sollst dich vor deinem Gott fürchten, daß
dein Bruder neben dir leben könne. Denn du sollst ihm dein Geld