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Der große Kampf
Die Nachricht von Luthers Ankunft in Augsburg erfüllte den
päpstlichen Gesandten mit großer Genugtuung. Der unruhestiftende
Ketzer, der die Aufmerksamkeit der ganzen Welt erregte, schien nun
in der Gewalt Roms zu sein, und der Legat war entschlossen, ihn
nicht entrinnen zu lassen. Der Reformator hatte versäumt, sich mit
einem Sicherheitsgeleit zu versehen. Seine Freunde überredeten ihn,
nicht ohne Geleit vor dem Gesandten zu erscheinen, und versuchten,
ihm eins vom Kaiser zu verschaffen. Der Vertreter Roms hatte die
Absicht, Luther — wenn möglich — zum Widerruf zu zwingen oder,
falls ihm dies nicht gelänge, ihn nach Rom bringen zu lassen, damit
er dort das Schicksal eines Hus und Hieronymus teile. Deshalb
versuchte er durch seine Beauftragten Luther zu bewegen, ohne
Sicherheitsgeleit zu erscheinen und sich seiner Gnade anzuvertrauen.
Der Reformator lehnte dies jedoch ab und erschien nicht eher vor
dem päpstlichen Gesandten, bis er den Brief, der den Schutz des
Kaisers verbürgte, erhalten hatte.
Klüglich hatten sich die Römlinge entschlossen, Luther durch
scheinbares Wohlwollen zu gewinnen. Der Legat zeigte sich in sei-
nen Unterredungen mit ihm sehr freundlich, verlangte aber, daß
Luther sich der Autorität der Kirche bedingungslos unterwerfen und
in jedem Punkt ohne Beweis oder Frage nachgeben solle. Er hatte
den Charakter des Mannes, mit dem er verhandelte, nicht richtig
eingeschätzt. Luther drückte in Erwiderung seine Achtung vor der
Kirche aus, sein Verlangen nach der Wahrheit, seine Bereitwilligkeit,
alle Einwände gegen das, was er gelehrt hatte, zu beantworten und
seine Lehren dem Entscheid gewisser führender Universitäten zu
unterbreiten. Gleichzeitig aber protestierte er gegen die Verfahrens-
weise des Kardinals, von ihm einen Widerruf zu verlangen, ohne
ihm den Irrtum bewiesen zu haben.
Die einzige Antwort war: „Widerrufe! Widerrufe!“ Der Reforma-
tor berief sich auf die Heilige Schrift und erklärte entschlossen, daß
er die Wahrheit nicht aufgeben könne. Der Legat, den Beweisfüh-
rungen Luthers nicht gewachsen, überhäufte ihn so mit Vorwürfen,
Spott und Schmeicheleien, vermengt mit Zitaten der Kirchenväter
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und aus der Überlieferung, daß der Reformator nicht recht zu Worte
kam. Luther, der die Nutzlosigkeit einer derartigen Unterredung ein-
sah, erhielt schließlich die mit Widerstreben erteilte Erlaubnis, seine
Verteidigung schriftlich einzureichen.