Seite 139 - Der gro

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Luthers Trennung von Rom
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erklärt und am selben Tag ermahnt, angeschuldigt, gerichtet und
verurteilt worden, und zwar von dem, der sich selbst „Heiliger Vater“
nannte, der alleinigen höchsten, unfehlbaren Autorität in Kirche und
Staat!
Um diese Zeit, da Luther der Liebe und des Rates eines treuen
Freundes so sehr bedurfte, sandte Gottes Vorsehung Melanchthon
nach Wittenberg. Jung an Jahren, bescheiden und zurückhaltend in
seinem Benehmen, gewannen Melanchthons gesundes Urteil, um-
fassendes Wissen und gewinnende Beredsamkeit im Verein mit der
Reinheit und Redlichkeit seines Charakters ihm allgemeine Ach-
tung und Bewunderung. Seine glänzenden Talente waren nicht be-
merkenswerter als die Sanftmut seines Gemüts. Er wurde bald ein
eifriger Jünger des Evangeliums und Luthers vertrautester Freund
und wertvollster Helfer; seine Sanftmut, Vorsicht und Genauigkeit
ergänzten Luthers Mut und Tatkraft. Ihr vereintes Wirken gab der
Reformation die erforderliche Kraft und war für Luther eine Quelle
großer Ermutigung.
Augsburg war als Ort des Verhörs bestimmt worden. Der Re-
formator trat die Reise zu Fuß an. Man hegte seinetwegen ernste
Befürchtungen. Es war ihm öffentlich gedroht worden, daß er auf
dem Wege ergriffen und ermordet würde, und seine Freunde baten
ihn, sich dem nicht auszusetzen. Sie drangen sogar in ihn, Wittenberg
eine Zeitlang zu verlassen und sich dem Schutz derer anzuvertrauen,
die ihn bereitwillig beschirmen würden. Er aber wollte den Platz
nicht verlassen, auf den Gott ihn gestellt hatte. Ungeachtet der über
ihn hereinbrechenden Stürme mußte er getreulich die Wahrheit wei-
terführen. Er sagte sich: „Ich bin mit Jeremia gänzlich der Mann des
Haders und der Zwietracht ... je mehr sie drohen, desto freudiger
bin ich ... mein Name und Ehre muß auch jetzt gut herhalten; also
ist mein schwacher und elender Körper noch übrig, wollen sie den
hinnehmen, so werden sie mich etwa um ein paar Stunden Leben
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ärmer machen, aber die Seele werden sie mir doch nicht nehmen
... wer Christi Wort in die Welt tragen will, muß mit den Aposteln
stündlich gewärtig sein, mit Verlassung und Verleugnung aller Dinge
den Tod zu leiden.
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Enders, Bd.I. S.211f., 10.7.1518