Seite 138 - Der gro

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Der große Kampf
schen Religion. Die Schranken des Vorurteils gaben nach. Das Wort
Gottes, nach dem Luther jede Lehre und jede Behauptung prüfte,
war gleich einem zweischneidigen Schwert, das sich seinen Weg in
die Herzen des Volkes bahnte. Überall erwachte das Verlangen nach
geistlichem Wachstum; überall entstand ein so großer Hunger und
Durst nach Gerechtigkeit, wie man ihn seit Jahrhunderten nicht ge-
kannt hatte. Die bis dahin auf menschliche Gebräuche und irdische
Vermittler gerichteten Blicke des Volkes wandten sich nun reuevoll
und gläubig auf Christus, den Gekreuzigten.
Dieses weitverbreitete Heilsverlangen erweckte noch mehr die
Furcht der päpstlichen Autoritäten. Luther erhielt eine Vorladung,
in Rom zu erscheinen, um sich gegen die Beschuldigung, Ketzerei
getrieben zu haben, zu verantworten. Diese Aufforderung erfüllte
seine Freunde mit Schrecken. Sie kannten nur zu gut die Gefahr, die
ihm in jener verderbten, vom Blut der Zeugen Jesu trunkenen Stadt
drohte. Sie erhoben Einspruch gegen seine Reise nach Rom und
befürworteten ein Gesuch, ihn in Deutschland verhören zu lassen.
Dies wurde schließlich genehmigt und der päpstliche Gesandte
Cajetan dazu bestimmt, den Fall anzuhören. In den ihm mitgege-
benen Anweisungen hieß es, daß Luther bereits als Ketzer erklärt
worden sei. Der päpstliche Gesandte wurde deshalb beauftragt, „ihn
zu verfolgen und unverzüglich in Haft zu nehmen“. Falls Luther
standhaft bliebe oder der Legat seiner nicht habhaft würde, war der
Vertreter Roms bevollmächtigt, ihn an allen Orten Deutschlands zu
ächten, zu verbannen, zu verfluchen und alle seine Anhänger in den
Bann zu tun
Um die pestartige Ketzerei auszurotten, befahl der
Papst seinem Gesandten, außer dem Kaiser alle ohne Rücksicht auf
ihr Amt in Kirche und Staat in die Acht zu erklären, falls sie es
unterließen, Luther und seine Anhänger zu ergreifen und der Rache
Roms auszuliefern.
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Hier zeigte sich der wahre Geist des Papsttums. Nicht ein Anzei-
chen christlicher Grundsätze oder auch nur gewöhnlicher Gerechtig-
keit war aus dem ganzen Schriftstück ersichtlich. Luther war weit
von Rom entfernt; ihm war keine Gelegenheit gegeben gewesen,
seinen Standpunkt zu erklären oder zu verteidigen, sondern er war,
bevor man seinen Fall untersucht hatte, ohne weiteres als Ketzer
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Luther, EA, op. lat. XXXIII 354f
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