Seite 141 - Der gro

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Luthers Trennung von Rom
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Dadurch erzielte Luther trotz seiner Bedrückung einen doppelten
Gewinn. Er konnte seine Verteidigung der ganzen Welt zur Beur-
teilung unterbreiten und auch besser durch eine gutausgearbeitete
Schrift auf das Gewissen und die Furcht eines anmaßenden und ge-
schwätzigen Tyrannen einwirken, der ihn immer wieder überschrie
Bei der nächsten Zusammenkunft gab Luther eine klare, gedräng-
te und eindrucksvolle Erklärung ab, die er durch viele Schriftstellen
begründete, und überreichte sie dann dem Kardinal. Dieser warf sie
jedoch verächtlich beiseite mit der Bemerkung, sie enthalte nur eine
Menge unnütze Worte und unzutreffender Schriftstellen. Luther, dem
jetzt die Augen aufgegangen waren, begegnete dem überheblichen
Prälaten auf dessen ureigenstem Gebiet, den Überlieferungen und
Lehren der Kirche, und widerlegte dessen Darlegungen gründlich
und völlig.
Als der Prälat sah, daß Luthers Gründe unwiderlegbar waren,
verlor er seine Selbstbeherrschung und rief zornig aus: „Widerrufe!“
Wenn er dies nicht sofort täte oder in Rom sich seinen Richtern
stellte, so würde er über ihn und alle, die ihm gewogen seien, den
Bannfluch, und über alle, zu denen er sich hinwendete, das kirchliche
Interdikt verhängen. Zuletzt erhob sich der Kardinal mit den Worten:
„Geh! widerrufe oder komm mir nicht wieder vor die Augen.
Der Reformator zog sich sofort mit seinen Freunden zurück und
gab deutlich zu verstehen, daß man keinen Widerruf von ihm erwar-
ten könne. Das entsprach keineswegs der Hoffnung des Kardinals.
Er hatte sich geschmeichelt, mit Gewalt und Einschüchterung zur
Unterwerfung zwingen zu können. Mit seinen Helfern jetzt allein
gelassen, blickte er höchst ärgerlich über das unerwartete Mißlingen
seiner Anschläge von einem zum andern.
Luthers Bemühungen bei diesem Anlaß waren nicht ohne gute
Folgen. Die anwesende große Versammlung hatte Gelegenheit die
beiden Männer zu vergleichen und sich selbst ein Urteil zu bilden
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über den Geist, der sich in ihnen offenbarte, und über die Stärke
und die Wahrhaftigkeit ihrer Stellung. Welch bezeichnender Unter-
schied! Luther, einfach, bescheiden, entschieden, stand da in der
Kraft Gottes, die Wahrheit auf seiner Seite; der Vertreter des Papstes,
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Luther, EA, XVII 209; L III 3f
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Luther, EA, LXIV 361-365; LXII 71f
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