Seite 157 - Der gro

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Luther vor dem Reichstag
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der Herold gestattete es dennoch. Der Mönch, einst im Kloster je-
dermanns Handlanger gewesen, bestieg die Kanzel.
In einer überfüllten Versammlung predigte er über die Worte
Christi: „Friede sei mit euch!“ „Ihr wisset auch, daß alle Philosophen,
Doktoren und Skribenten sich beflissen zu lehren und schreiben, wie
sich der Mensch zur Frömmigkeit halten soll, haben sich des sehr
bemüht, aber wie man sieht, wenig ausgerichtet ... Denn Gott, der hat
auserwählet einen Menschen, den Herrn Jesum Christ, daß der soll
den Tod zerknirschen, die Sünden zerstören und die Hölle zerbrechen
... Also daß wir durch seine Werke ... und nicht mit unseren Werken
selig werden ... Unser Herr Christus hat gesagt: Habt Frieden und
sehet meine Hände. Sieh Mensch, ich bin der allein, der deine Sünde
hat hinweggenommen, der dich erlöste. Nun habe Frieden.“
„So soll ein jeglicher Mensch sich besinnen und bedenken, daß
wir uns nicht helfen können, sondern Gott, auch daß unsere Werke
gar gering sind: so haben wir den Frieden Gottes; und ein jeglicher
Mensch soll sein Werk also schicken, daß ihm nicht allein nutz sei,
sondern auch einem andern, seinem Nächsten. Ist er reich, so soll
sein Gut den Armen nutz sein; ist er arm, soll sein Verdienst den
Reichen zugute kommen ... Denn wenn du merkst, daß du deinen
Nutzen allein schaffst, so ist dein Dienst falsch.
Das Volk lauschte wie gebannt seinen Worten. Das Brot des Le-
bens wurde jenen hungernden Seelen gebrochen. Christus erschien
darin als der, der über Papst, Legat, Kaiser und König steht. Luther
machte keinerlei Andeutungen über seine gefährliche Lage. Weder
versuchte er, sich selbst in den Mittelpunkt zu stellen, noch suchte
er Mitgefühl zu erwecken. Sein Ich trat ganz hinter die Betrachtung
Christi zurück. Er verbarg sich hinter dem Gekreuzigten von Gol-
gatha und verlangte nur danach, Jesus als den Erlöser des Sünders
darzustellen.
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Auf der Weiterreise brachte das Volk dem Reformator die größte
Anteilnahme entgegen. Eine neugierige Menge drängte sich überall
um ihn, und freundschaftliche Stimmen warnten ihn vor den Ab-
sichten der Römlinge. Einige sagten: Man wird dich verbrennen
wie den Hus. Luther antwortete: „Und wenn sie gleich ein Feuer
machten, das zwischen Wittenberg und Worms bis an den Himmel
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Luther, EA, XVI 249-257