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Die Reformation in Frankreich
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zusammen: Adlige, Staatsmänner, Rechtsgelehrte, Kaufleute und
Handwerker. Statt die Versammlungen zu untersagen, befahl der
König, in Paris zwei Kirchen zu öffnen. Nie zuvor war die Stadt so
vom Worte Gottes bewegt worden. Es schien, als wäre der Geist des
Lebens vom Himmel auf das Volk gekommen. Mäßigkeit, Reinheit,
Ordnung und Fleiß traten an die Stelle von Trunkenheit, Ausschwei-
fung, Zwietracht und Müßiggang.
Die Priesterschaft war jedoch nicht müßig. Da der König sich
weigerte, einzuschreiten und die Predigt zu verbieten, wandte sie sich
an die Bevölkerung. Kein Mittel wurde gespart, um die Furcht, die
Vorurteile und den Fanatismus der unwissenden und abergläubischen
Menge zu erregen. Und Paris, das sich seinen falschen Lehrern
blindlings ergab, erkannte wie einst Jerusalem weder die Zeit seiner
Heimsuchung noch was zu seinem Frieden diente. Zwei Jahre lang
wurde das Wort Gottes in der Hauptstadt verkündigt; doch während
viele das Evangelium annahmen, verwarf es die Mehrheit des Volkes.
Franz hatte, nur um seinem eigenen Zweck zu dienen, eine gewisse
religiöse Duldung an den Tag gelegt, und es gelang den päpstlichen
Anhängern, wieder die Oberhand zu gewinnen. Abermals wurden
die Kirchen geschlossen und Scheiterhaufen aufgerichtet.
Calvin war noch in Paris, bereitete sich durch Studium, tiefes
Nachdenken und Gebet auf seine künftige Arbeit vor und fuhr fort,
das Licht auszubreiten. Schließlich geriet auch er in den Verdacht der
Ketzerei. Die Behörden beschlossen, ihn den Flammen zu übergeben.
Da er sich in seiner Abgeschiedenheit außer jeder Gefahr wähnte,
dachte er an nichts Böses. Plötzlich eilten Freunde auf sein Zimmer
mit der Nachricht, daß Beamte auf dem Wege seien, ihn zu verhaften.
Im selben Augenblick vernahmen sie lautes Klopfen am äußeren
Eingang. Es galt, keine Zeit zu verlieren. Einige Freunde hielten die
Beamten an der Tür auf, während andere dem Reformator behilflich
waren, sich durchs Fenster hinunterzulassen und schnell aus der Stadt
zu entkommen. Er fand Zuflucht in der Hütte eines Arbeiters, der ein
Freund der Reformation war; dort verkleidete er sich, indem er einen
Anzug seines Gastgebers anzog und setzte mit einer Hacke auf der
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Schulter die Reise fort. Seine Schritte nach dem Süden lenkend, fand