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Die Bibel und die Französische Revolution
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wurde in schändlicher Genußsucht verschleudert. Und die Leute,
die auf diese Weise ihre Mitmenschen an den Bettelstab brachten,
waren selbst aller Steuern enthoben und durch Gesetze oder Brauch-
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tum zu allen Staatsämtern berechtigt. Zu den bevorzugten Klassen
zählten 150.000 Personen, und für deren Annehmlichkeiten wurden
Millionen zu einem hoffnungslosen und herabwürdigenden Leben
verdammt.“ (Siehe Anm. 038)
Der Hof ergab sich der Üppigkeit und der Ausschweifung. Zwi-
schen den Regierenden und den Untertanen bestand nur wenig Ver-
trauen. An alle Maßnahmen der Regierung heftete sich der Verdacht,
daß sie hinterlistig und selbstsüchtig seien. Mehr als ein halbes
Jahrhundert vor der Revolution bestieg Ludwig XV., der sich selbst
in jenen bösen Zeiten als ein träger, leichtfertiger und sinnlicher
Fürst auszeichnete, den Thron. Angesichts des verderbten und grau-
samen Adels, der verarmten und unwissenden unteren Klasse, der
finanziellen Verlegenheit des Staates und der Erbitterung des Volkes
bedurfte es keines prophetischen Auges, um einen schrecklichen
Ausbruch vorauszusehen. Auf die Warnung seiner Ratgeber erwider-
te der König gewöhnlich: „Bemüht euch, alles im Gang zu erhalten,
solange ich leben mag; nach meinem Tode mag es kommen, wie es
will.“ Vergebens drang man auf die Notwendigkeit einer Reform.
Er sah die Übelstände, hatte aber weder den Mut noch die Macht,
ihnen zu begegnen. Das Schicksal, das Frankreich bevorstand, wur-
de nur zu deutlich durch seine lässige und selbstsüchtige Antwort
gekennzeichnet: „Nach mir die Sintflut!“
Rom hatte durch ständiges Schüren der Eifersucht der Könige
und der herrschenden Klassen diese beeinflußt, das Volk in Knecht-
schaft zu halten, wohl wissend, daß der Staat dadurch geschwächt
würde; damit wollte es jedoch sowohl die Herrscher als auch das
Volk zu seinen Sklaven machen. Mit weitsichtiger Politik erkannte
die päpstliche Macht, daß man, um die Menschen endgültig zu un-
terjochen, ihren Seelen Fesseln anlegen müsse; daß es am sichersten
sei, sie für die Freiheit unfähig zu machen, um ihr Entrinnen aus
der Knechtschaft zu verhindern. Tausendmal schrecklicher als die
körperlichen Leiden, die aus solcher Politik hervorgingen, war die
sittliche Erniedrigung. Der Bibel beraubt, den Lehren der Frömmelei
und der Selbstsucht preisgegeben, wurde das Volk in Unwissenheit