Seite 35 - Der gro

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Die Zerstörung Jerusalems
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Nation wurde der Herrschaft des Führers überlassen, den sie sich
erwählt hatte. Ihre Kinder verschmähten die Gnade Christi, die sie
befähigt hätte, ihre bösen Triebe zu unterdrücken, und diese bekamen
nun die Oberhand. Satan erweckte die heftigsten und niedrigsten Lei-
denschaften der Seele. Die Menschen handelten ohne Überlegung;
sie waren von Sinnen, nur noch erfüllt von Begierde und blinder Wut.
Sie wurden satanisch in ihrer Grausamkeit. In der Familie wie unter
dem Volk, unter den höchsten wie unter den niedrigsten Klassen
herrschten Argwohn, Neid, Haß, Streit, Empörung, Mord. Nirgends
war Sicherheit zu finden. Freunde und Verwandte verrieten einander.
Eltern erschlugen ihre Kinder und Kinder ihre Eltern. Die Führer des
Volkes hatten nicht die Kraft sich selbst zu beherrschen. Ungezügel-
te Leidenschaften machten sie zu Tyrannen. Die Juden hatten ein
falsches Zeugnis angenommen, um den unschuldigen Gottessohn
zu verurteilen. Jetzt machten falsche Anklagen ihr eigenes Leben
unsicher. Durch ihre Handlungen hatten sie lange genug zu erken-
nen gegeben: „Lasset den Heiligen Israels aufhören bei uns!“
Jesaja
30,11
. Nun war ihr Wunsch erfüllt; Gottes Furcht beunruhigte sie
nicht länger. Satan stand an der Spitze der Nation, und er beherrschte
die höchste zivile und religiöse Obrigkeit.
Die Führer der Gegenparteien vereinigten sich zeitweise, um ihre
unglücklichen Opfer zu plündern und zu martern, und dann fielen sie
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übereinander her und mordeten ohne Gnade. Selbst die Heiligkeit
des Tempels konnte ihre schreckliche Grausamkeit nicht zügeln. Die
Anbetenden wurden vor dem Altar niedergemetzelt und das Heilig-
tum durch die Leichname der Erschlagenen verunreinigt. Dennoch
erklärten die Anstifter dieses höllischen Werkes in ihrer blinden und
gotteslästerlichen Vermessenheit öffentlich, daß sie nicht fürchteten,
Jerusalem könnte zerstört werden; denn es sei Gottes eigene Stadt.
Um ihre Macht zu stärken, bestachen sie falsche Propheten, die,
selbst als die römischen Legionen bereits den Tempel belagerten,
verkündigen mußten, daß das Volk der Befreiung durch Gott harren
solle. Bis zum Ende hielt die Menge an dem Glauben fest, daß sich
der Allerhöchste zur Vernichtung der Gegner ins Mittel legen werde.
Israel aber hatte die göttliche Hilfe verschmäht und war nun den
Feinden schutzlos preisgegeben. Unglückliches Jerusalem! Durch
innere Zwistigkeiten zerrissen, die Straßen vom Blut seiner Söhne
gefärbt, die sich gegenseitig erwürgten, während fremde Heere seine